Das KNE informiert zu Maßnahmen zur Verminderung von Vogelkollisionen an Windenergieanlagen

Berlin, 30. März 2021

Das KNE informiert zu Maßnahmen zur Verminderung von Vogelkollisionen an Windenergieanlagen

Das KNE war zur (Online-)Frühjahrstagung der Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG VSW) am 24. März eingeladen, um über Antikollisionssysteme sowie über die Wirksamkeit von schwarzen Rotorblättern als Maßnahme zur Verminderung von Vogelkollisionen an Windenergieanlagen zu informieren. 

Anitkollisionssysteme – Empfehlungen, Herausforderungen und Erpobung

Dr. Elke Bruns berichtete über die vorläufigen Ergebnisse des vom BfN geförderten FuE-Vorhabens „Anforderungen an technische Überwachungs- und Abschaltsysteme an Windenergieanlagen“. Im Rahmen einer Workshopreihe und weiteren Experteninputs seien Empfehlungen für Mindestanforderungen bezüglich der Erfassungsrate, der Erkennungsrate, der Reichweite und der Abdeckung formuliert worden, die sicherstellen sollen, dass Antikollisionssysteme (AKS) eine ausreichende Vermeidungswirksamkeit erlangen können. Eine Checkliste soll die Behörden im Anwendungsfall bei der Entscheidung unterstützen, ob AKS am fraglichen Standort bzw. für den fraglichen Einsatzbereich überhaupt in Frage kommen. Im Zuge der Fortschreibung der artenschutzrechtlichen Leitfäden zum Ausbau der Windenergie wäre zu beurteilen, unter welchen Voraussetzungen derartige Systeme in den Ländern zum Einsatz kommen können. Bruns betonte darüber hinaus, dass die kameragestützte Detektion an ihre Grenzen käme, wenn mehrere Rotmilanpaare von einem Vorhaben betroffen wären, da die Systeme nicht mehrere Vögel gleichzeitig erfassen und verfolgen könnten. Dies setze dem Einsatz in Dichtzentren Grenzen. Ebenso sei der Einsatz an Standorten mit geringer Einsehbarkeit fraglich. Zudem sei noch zu klären, ob und wie bereits erzielte Erprobungsergebnisse im konkreten Anwendungsfall verifiziert werden könnten.

Julia Streiffeler stellte anschließend vor, für welche Antikollisionssysteme (Kamera, Radar) bereits Erprobungen durchgeführt worden sind und welche Ergebnisse dabei erzielt wurden. Sie fasste zusammen, dass die Ergebnisse des Detektionssystems IdentiFlight an insgesamt sechs Standorten in Deutschland ermutigend seien. Laut Reichenbach und Reers (2021, in Vorbereitung) habe man eine durchschnittliche Erfassungsrate von 90 Prozent und eine Erkennungsrate von bis zu 96 Prozent bei einer Reichweite von 600 bis 750 Metern nachweisen können. Auch die Erprobung des Systems am Standort Geislingen (Aschwanden und Liechti 2020) habe angesichts der dort vorliegenden Sichteinschränkungen gute Ergebnisse gebracht. Die Erfassungsrate liegt hier zwischen rund 82 und 88 Prozent, die Erkennungsrate bei knapp 98 bis 99 Prozent. Veröffentlichungsfähige Erprobungsergebnisse seien in diesem Jahr noch von den Radarsystemen Bird-Scan und Robin Radar „Max“ zu erwarten. Wann es weitere Erprobungsberichte von Kamerasystemen geben wird, sei derzeit noch nicht bekannt.

Paint it black?

Holger Ohlenburg fasste die Ergebnisse aus dem Fachgespräch “ Schwarze Rotorblätter – eine wirksame Maßnahme zur Verminderung von Vogelkollisionen an Windenergieanlagen?“ zusammen. Er erläuterte, dass die in der Studie von May et al. 2020 dargestellte Vermeidungswirksamkeit nicht auf Standorte und Rahmenbedingungen in Deutschland übertragbar sei. Als Methode für Wirksamkeitsuntersuchungen würde nach Auffassung von Experten und Expertinnen am ehesten eine technisch gestützte visuelle Dauerbeobachtung in Betracht kommen. Es sollte im Rahmen einer Machbarkeitsstudie geklärt werden, welche Erfolgswahrscheinlichkeit eine Untersuchung der Maßnahmenwirksamkeit hätte und welche Rahmenbedingungen einer Anwendung entgegenstehen. Ohlenburg wies zudem darauf hin, dass die Einfärbung an hiesigen Standorten zur Erwärmung des Materials führe und die damit verbundenen Auswirkungen auf Haltbarkeit und Sicherheit der Anlagen noch zu testen sei. Ein Hindernis sei die bestehende Pflicht einer rot-weiß-roten Kennzeichnung für mehr als 100 Meter hohe Windenergieanlagen. Um davon abzuweichen, muss die zuständige Luftfahrtbehörde eine Ausnahme erteilen oder die entsprechende Kennzeichnungsverordnung geändert werden. Die erhöhte Sichtbarkeit der Rotorbewegung durch eine Schwarzfärbung könnte darüber hinaus die visuelle Störwirkung verstärken und die Akzeptanz einer solchen Maßnahme vor Ort senken.

KNE veröffentlicht Studie zu wirtschaftlichen Aspekten ereignisbezogener Abschaltung

Berlin, 24. März 2021

KNE veröffentlicht Studie zu wirtschaftlichen Aspekten ereignisbezogener Abschaltung

Die vom KNE in Auftrag gegebene Studie „Wirtschaftliche Aspekte ereignisbezogener Abschaltung zum Vogelschutz an Windenergieanlagen. Brutplatzszenarien – Ertragseinbußen – Einfluss auf die Anlagentechnik“ von Reichenbach et al. (2020)  gibt Aufschluss darüber, mit welchen Ertragseinbußen in der Stromproduktion zu rechnen ist, wenn Antikollisionssysteme zum Vogelschutz an Windenergieanlagen eingesetzt werden. Die Autoren haben außerdem beispielhafte Szenarien für den Rotmilan entwickelt, um anhand ausgewählter Parameter des Anlagenstandorts die Anzahl der Abschaltungen pro Tag abschätzen zu können. Die jährlichen Ertragseinbußen durch die ereignisbezogene Abschaltung auf Basis der ermittelten Flugaktivitäts-Szenarien betragen an den sechs deutschen Untersuchungsstandorten durchschnittlich 0,4 bis 2,3 bis Prozent. Die Ertragseinbußen sind damit deutlich geringer als die einer pauschalen Abschaltung (durchschnittlich 28,6 Prozent).

Das FuE-Vorhaben

Im Rahmen des FuE-Vorhabens „Anforderungen an technische Überwachungs- und Abschaltsysteme an Windenergieanlagen“ wurden erste Empfehlungen zu den Anforderungen an Kamera- und Radarsystemen formuliert, die Vögel automatisch erkennen und entsprechend die Windenergieanlage abschalten, um eine Kollision zu vermeiden. Das KNE führte dazu eine mehrteilige, aufeinander aufbauende Veranstaltungsreihe mit Expertenworkshops und einer Fachveranstaltung durch.

Ihre Ansprechpartnerin im KNE
Dr. Elke Bruns
Leiterin Fachinformation
elke.bruns@naturschutz-energiewende.de
+49 30 7673738-20

Julia Streiffeler

Aktuelles aus Bayern und Schleswig-Holstein, aus dem Deutschen Bundestag und von der Deutschen Umwelthilfe.

Berlin, 23. März 2021

Extrakte aus Politik und Gesellschaft 03/21

Aktuelles aus Bayern und Schleswig-Holstein, aus dem Deutschen Bundestag und von der Deutschen Umwelthilfe.

In „Extrakte“ veröffentlicht das KNE regelmäßig Fragmente aus parlamentarischen und ministeriellen Veröffentlichungen sowie aus publizierten Beiträgen von Akteuren der Energiewende. 

Bayern

Eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Markus Rinderspacher (SPD) befasste sich mit der Situation der „Windkraft in Bayern 2020“. Das für Energie zuständige Staatsministerium teilte auf Drs. 18/12493 mit, dass 2020 in den ersten drei Quartalen kein einziger immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsantrag für eine Windenergieanlage (WEA) gestellt wurde. 2020 seien acht WEA mit einer Gesamtleistung von 31,7 Megawatt in Betrieb gegangen. Ursachen für den Rückgang sehe es in der bundesweiten Ausschreibungspflicht, in artenschutzrechtlichen Fragen in Genehmigungsverfahren und in einer zunehmenden Anzahl von Gerichtsverfahren. Durch die Einführung der 10-H-Regelung habe sich aber auch die Flächenverfügbarkeit verringert. Bis 2025 sollen fünf bis sechs Prozent des Bruttostroms durch Windenergie erzeugt werden.

Schleswig-Holstein

Umweltminister Jan Philipp Albrecht (Bündnis 90/Die Grünen) hat den Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Energiewende- und Klimaschutzgesetzes Schleswig-Holsteins (EWKG) vorgelegt. Er enthält unter anderem Regelungen für einen stärkeren Zubau von Photovoltaikanlagen auf Dächern, Parkplätzen und auf Freiflächen (PM, 16.02.2021). Landesliegenschaften sollen bei Sanierungen und Neubauten grundsätzlich mit PV ausgestattet werden. Jüngere Studien sehen ein Photovoltaik-Potenzial auf Gebäuden in Schleswig-Holstein von sieben bis neun Gigawatt, realisiert werden derzeit nur 1,1 Gigawatt. Konkret vorgeschlagen wird auch, dass beim Austausch einer Heizungsanlage in Gebäuden, die vor 2009 errichtet worden sind, mindestens 15 Prozent des jährlichen Energiebedarfs durch erneuerbare Energien zu decken sind.

Deutscher Bundestag

Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages hat einen Sachstand zu den „Regelungen des Mindestabstands von Windenergieanlagen zu Wohngebieten in ausgewählten europäischen Staaten“ vorgelegt (WD 7-3000-001/21). Überblicksartig und summarisch werden die rechtlichen Rahmenbedingungen etwaiger Mindestabstände in Österreich, Schweden, Dänemark, Polen, Frankreich und der Niederlande dargestellt. In den Niederlanden etwa können Windenergieanlagen grundsätzlich in der Nähe von Häusern gebaut werden, es bestehen aber Regeln zu Lärm und Schattenwurf. So gilt, dass eine mit Fenstern versehene Fassade grundsätzlich an maximal 17 Tagen im Jahr für maximal 20 Minuten von einem sich bewegenden Schatten einer Windenergieanlage getroffen werden darf.

Deutsche Umwelthilfe

Die Deutsche Umwelthilfe hat ein Weißbuch zur Stärkung der Wiederverwendung und des Recyclings von Photovoltaik-Modulen herausgegeben. Die Zahl der installierten Photovoltaik-Modulen steigt kräftig, ihre Lebensdauer ist endlich. Wurden 2020 vermutlich 51.600 Tonnen Altmodule entsorgt, können es laut Prognosen 2030 schon eine Million Tonnen Altmodule sein. Wie hiermit klimaschonend und ressourceneffizient umgehen? Die Abfallhierarchie des Kreislaufwirtschaftsgesetzes muss auch auf Photovoltaik-Module übertragen werden: Abfallvermeidung (Wartung, sorgfältige Behandlung), Weiter- oder Wiederverwendung (Reparatur), Recycling (wertvolle Ressourcen zurückgewinnen, Schadstoffe ausschleusen). Das Weißbuch unterbreitet interessante Lösungsansätze entlang der Stufen des Produktlebens.

Keine Lockerung für die Windenergie nach dem EuGH-Urteil

Berlin, 23. März 2021

KNE-Wortmeldung zum Urteil des Europäischen Gerichtshofes

Keine Lockerung für die Windenergie nach dem EuGH-Urteil

Das mit Spannung erwartete Urteil des Europäischen Gerichtshofes in den Rechtssachen C-473/19 und C-474/19 vom 4. März 2021 liegt vor. Das KNE beleuchtet die Entscheidung vor allem mit Blick auf die europäische Vogelschutzrichtlinie. Für die Windenergie an Land bleibt es weiterhin bei einer individuenbezogenen Betrachtung auf der Ebene des Verbotstatbestandes. Populationsbezogene Bewertungen können erst bei der Prüfung der Ausnahme herangezogen werden.

Ausgangslage

Am 4. März verkündete der Europäische Gerichtshof (EuGH) sein Urteil[1] zu einem Vorlageverfahren aus Schweden. Inhaltlich ging es um eine Abholzungsanmeldung, die eine nahezu komplette Rodung (Kahlschlag) eines Waldgebietes zum Inhalt hatte.[2] Das vorlegende schwedische Gericht wollte vom EuGH in diesem Kontext unter anderem wissen, ob die Begriffe „absichtliches Töten/Stören/Zerstören“ in Art. 5 Buchst. a bis d der Vogelschutzrichtlinie und in Art. 12 Abs. 1 Buchst. a bis c der Habitatrichtlinie dahin auszulegen seien, dass sie eine innerstaatliche Praxis ausschließen, wonach in dem Fall, dass mit einer Maßnahme offenkundig ein anderer Zweck verfolgt wird, als Individuen bestimmter Arten zu töten oder zu stören, ein Risiko bestehen muss, dass sich die Maßnahme negativ auf den Erhaltungszustand der Arten auswirkt, damit die Verbote Anwendung finden.[3]

Die Entscheidung des EuGH wurde mit Spannung erwartet, weil EuGH-Generalanwältin Juliane Kokott, in ihren der Entscheidung vorausgehenden Schlussanträgen angeregt hatte, den Absichtsbegriff in der Vogelschutzrichtlinie (V-RL) der Europäischen Union enger auszulegen als dies der EuGH für die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) bereits entschieden hat.[4] Konkret schlug sie vor, dass Beeinträchtigungen von Vögeln, die nicht bezweckt, sondern nur in Kauf genommen würden, die Tötungs- und Zerstörungsverbote nach Art. 5 Buchst. a und b der V-RL nur erfüllen sollten, soweit dies notwendig sei, um diese Arten im Sinne von Art. 2 auf einem Stand zu halten oder auf einen Stand zu bringen, der insbesondere den ökologischen, wissenschaftlichen und kulturellen Erfordernissen entspricht, und dabei den wirtschaftlichen und freizeitbedingten Erfordernissen Rechnung trägt.[5]

Zur Auslegung des Europäischen Gerichtshofs

Die Ausführungen des EuGH im betreffenden Urteil zum Begriff der Absicht beziehen sich nur auf die FFH-Richtlinie[6], und hier bleibt es bei dem seit der Caretta-Caretta-Entscheidung[7] etablierten Absichtsbegriff, der auch die unbezweckte Inkaufnahme von Tötungen besonders geschützter Arten umfasst. Damit hat der EuGH den Vorschlag von GeneralanwältinKokott nicht aufgegriffen, ihm gleichwohl auch keine ausdrückliche Absage erteilt.

Wäre der EuGH dem Vorschlag der Generalanwältin mit Blick auf die Vogelschutzrichtlinie gefolgt, wäre bereits bei der Frage, ob ein Verbotstatbestand nach Art. 5 Buchst. a und b V-RL erfüllt ist, eine populationsbezogene Betrachtung möglich geworden.

Dies hätte eine Lockerung des besonderen Artenschutzrechts auch für den Bereich der Windenergie an Land ermöglicht, denn die Betrachtung des einzelnen Vogels wäre nicht mehr in jedem Fall erforderlich gewesen. Inwieweit aber mit dem Vorschlag tatsächlich eine Entlastung der Genehmigungssituation von Windenergieanlagen an Land einhergegangen wäre, ist indes fraglich, da man bereits darüber streiten kann, ob sich die Ausführungen von Kokott lediglich auf die von ihr als „Allerweltsarten“ bezeichneten Vögel bezogen haben.[8] Ob unter diesen Begriff auch die windenergiesensiblen Groß- und Greifvogelarten fallen, zu deren Schutz Windenergieanlagen teils überhaupt nicht oder nur mit umfangreichen Abschaltauflegen errichtetet werden können, hätte weiteren Diskussionsstoff geboten.

Konsequenzen des Urteils in Bezug auf die Vogelschutzrichtlinie

Der EuGH betont in dem Urteil den individuenbezogenen Schutzansatz der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie und leitet diesen aus dem Wortlaut der Richtlinie ab (Exemplar, Eier)[9]. Die Vogelschutzrichtlinie spricht in Art. 1 Abs. 2 von „Vögel, ihre Eier, Nester und Lebensräume“. Eine unterschiedliche Sichtweise des EuGH bezüglich FFH-RL und V-RL ist daher unwahrscheinlich; der Individuenbezug ist beiden Richtlinien inhärent.

Der EuGH betont in der aktuellen Entscheidung auch das Verhältnis von Verbotstatbestand und Ausnahme im Hinblick auf Art. 12 und 16 der FFH-Richtlinie. Hier sei streng zwischen Verbotstatbestand (Betrachtung des Individuums) und Ausnahme (Einbeziehung des Erhaltungszustandes) zu trennen, um nicht die Prüfung der restriktiven Ausnahmevoraussetzungen zu umgehen.[10] Grundsätzlich findet sich in der Vogelschutzrichtlinie mit Art. 5 als Verbotstatbestand und Art. 9 als Ausnahmetatbestand eine vergleichbare Konstellation. Dies spricht auf den ersten Blick dafür, dass der EuGH, die für die FFH-RL etablierte, strenge Unterscheidung zwischen Verbotstatbestand und Ausnahme auch auf die V-RL übertragen würde.

Allerdings hat Generalanwältin Kokott auch im Hinblick auf die Ausnahmekonstellationen entscheidende Unterschiede zwischen FFH-RL und V-RL herausgearbeitet und hieraus auf einen engeren Absichtsbegriff auf Ebene des Verbotes geschlussfolgert.[11] So wird der Kreis der zu schützenden Arten in der FFH-RL sehr viel enger gezogen als in der V-RL, die generell alle europäischen Vogelarten schützt.[12] Gleichzeitig korrespondiert der strenge Schutzansatz der FFH-RL mit einem Ausnahmeregime, das – im Gegensatz zur V-RL[13] – einen weiten Ausnahmegrund enthält. Nach Art. 16 Abs. 1 Buchst. c FFH-RL ist es nämlich möglich, Ausnahmen auch aus „[…] aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art“ zu gewähren. Eine solch weitreichende Formulierung findet sich im Katalog der Ausnahmegründe der Vogelschutzrichtlinie nicht.[14] Auch aus diesem Grund empfiehlt die Generalanwältin, eine enge Auslegung des Absichtsbegriffs für die V-RL bereits auf Ebene des Verbotstatbestandes.

Der EuGH ist auf diese differenzierende Auseinandersetzung der Generalanwältin zu FFH-RL und V-RL nicht eingegangen. Von einer Entscheidung zur Vogelschutzrichtlinie im Hinblick auf den Absichtsbegriff konnte der Gerichtshof absehen, weil die in Frage stehende schwedische Regelung nicht zwischen FFH- und Vogelschutzrichtlinie unterscheidet.[15] Es bleibt im Bereich der Spekulation, ob der EuGH im Bereich der Vogelschutzrichtlinie zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

Derzeit bleibt es daher auch für die Windenergie an Land weiterhin bei einer individuenbezogenen Betrachtung auf der Ebene des Verbotstatbestandes. Populationsbezogene Bewertungen können erst bei der Prüfung der Ausnahme herangezogen werden.

Einige Kommentatoren haben eine mögliche Umsetzung des „Kokott-Vorschlages“, also eine populationsbezogene Betrachtung auf der Ebene der Verbotsnorm, bereits im Vorfeld des Urteils kritisch eingeschätzt, und diese Betrachtung weiterhin im Ausnahmeregime verortet.[16] Dies dürfte mit der Hoffnung verbunden gewesen sein, den erwähnten weiten Ausnahmegrund der FFH-Richtlinie so auch auf rechtssichere Art und Weise[17] für die Vogelschutzrichtlinie nutzbar machen zu können. Die von Generalanwältin Kokott identifizierten Spielräume in der Vogelschutzrichtlinie hätten sich damit im Ausnahmegrund des § 45 Abs. 7 S. 1 Nr. 5 BNatSchG (zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses) wiedergefunden[18], dessen Anwendung auf europäische Vogelarten derzeit mit erheblichen Rechtsunsicherheiten verbunden ist[19], da er, wie bereits erläutert, auf keine Entsprechung in der Vogelschutzrichtlinie trifft.

Fazit des KNE

Das Urteil hat weder den Wunsch nach Erleichterungen im Genehmigungsprozess von Windenergieanlagen an Land erfüllt, noch hat es für eine großzügigere Auslegung der Ausnahmegründe der Vogelschutzrichtlinie gesorgt. Die Rechtsunsicherheiten bezüglich des Ausnahmegrundes der zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses im Bundesnaturschutzgesetz bleiben bestehen.

Aufgrund der eher strengen Tendenz[20] des vorliegenden Urteils in der Auslegung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie halten wir es für eher unwahrscheinlich, dass der EuGH in zukünftigen Verfahren Lockerungen bei der Auslegung der Verbotstatbestände der Vogelschutzrichtlinie zulassen wird. Teils wurde im Nachgang des Urteils daher gefordert, das Thema Klimaschutz und biologische Vielfalt im Rahmen des Green Deals der Europäischen Kommission zu verhandeln. Eine andere Stimme plädiert bereits für eine Änderung der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie mit einer eindeutigen Gewichtung zugunsten des Klimaschutzes.[21]

Es mag auch am zu beurteilenden Sachverhalt gelegen haben, dass der EuGH auf die differenzierende Betrachtung der Generalanwältin nicht eingegangen ist. Der EuGH hatte vorliegend einen extremen Eingriff in die Natur zu beurteilen, da ein komplettes Waldgebiet gerodet werden sollte.[22]

Bisher wurde der EuGH noch nicht mit dem diffizileren Dilemma konfrontiert, das im Ausbau der Windenergie als Maßnahme zum Klimaschutz ein Konflikt mit dem Arten- und speziell dem Vogelschutz liegen kann. Insbesondere musste der EuGH noch nicht entscheiden, ob bei diesem Zielkonflikt – denn beides, Klima- und Umwelt- und damit auch Artenschutz sind primärrechtliche Zielvorgaben – eine Abwägung zu Gunsten oder zu Lasten eines anderen Rechtsgutes erfolgen kann, und unter welchen Voraussetzungen sich welches Rechtsgut durchsetzt.

Wir regen an, eine Gelegenheit zu nutzen, um dem EuGH diese Fragen vorzulegen. Speziell im Hinblick auf die Ausnahmeregelung[23] der Vogelschutzrichtlinie und deren nationaler Umsetzung in § 45 Abs. 7 BNatSchG böte es sich an, den EuGH zu fragen, wie der Artenschutz und der Klimaschutz in Einklang zu bringen sind. Eine Klarstellung auf europäischer Ebene wäre sicherlich gewinnbringend, um mehr Rechtssicherheit für die Energiewende zu erlangen.

[1] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19. CURIA – Dokumente (europa.eu)
[2] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 21.
[3] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 29.
[4] EuGH, Urteil vom 30. Januar 2002 − Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147 – (Caretta caretta), Rn. 36.
[5] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 93. CURIA – Dokumente (europa.eu)
[6] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 48.
[7] EuGH, Urteil vom 30. Januar 2002 − Rs. C-103/00, Slg. 2002, I-1147 – (Caretta caretta).
[8] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 81, 83.
[9] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 54.
[10] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 60.
[11] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 86.
[12] Generalanwältin Kokott, Schlussanträge vom 10. September 2020, Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 80 f.
[13] Siehe hierzu auch Hofmann (2020), S. 15 f.
[14] Zur Frage, ob ein solcher Ausnahmegrund in die V-RL hineingelesen werden könnte, vgl. grundlegend: Hofmann (2020). A. a. UMK (2020).
[15] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 48.
[16] Lau (2021), S. 31 f.; ähnlich Hendrischke (2020), 518.
[17] Zur Problematik s. o. Fn. 14.
[18] Lau (2021), S. 31.
[19] Siehe hierzu auch Hofmann (2020).
[20] Beispielsweise aufgrund des Rückgriffs auf die Erwägungsgründe der FFH-RL und den Ausführungen zu Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-RL. EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 62 ff.
[21] Urteil des EuGH – Stillstand im Artenschutzrecht? – Zugleich ein offener Brief an die Windenergiebranche, den eigenen Verband und an die Mandatsträger in allen Parlamenten, die die Energiewende wollen – MASLATON Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
[22] EuGH, Urteil vom 4. März 2021 – Rs. C‑473/19 und C‑474/19, Rn. 21. Bei Skogsstyrelsen (nationale Forstverwaltung, Schweden) wurde eine Abholzungsanmeldung betreffend ein Waldgebiets in der Gemeinde Härryda eingereicht. Diese Anmeldung betrifft einen Kahlschlag, was die Entfernung fast aller Bäume bedeutet.
[23] S. hierzu: Hendrischke (2020), 518.

Literaturverzeichnis

Hendrischke, O. (2020): Vogelschutz bei Windenergievorhaben. Natur und Landschaft (11) 2020, 518.

Hofmann, E. (2020): Artenschutz und Europarecht im Kontext der Windenergie. Der Klimaschutz und die Auslegung der Ausnahmeregelungen der Vogelschutzrichtlinie. KNE – Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende. https://www.naturschutz-energiewende.de/wp-content/uploads/KNE_Rechts-Gutachten_Artenschutz-und-Europarecht-im-Kontext-der-Windenergie_2020.pdf

Lau, M. (2021): Erleichterungen im besonderen Artenschutz. Natur und Recht, 43(1), 28–32. https://link.springer.com/article/10.1007%2Fs10357-020-3787-x

Umweltministerkonferenz – UMK. (2020): Hinweise zu den rechtlichen und fachlichen Ausnahme- Voraussetzungen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG bei der Zulassung von Windenergievorhaben (23 S.).

Kontakt:
Dr. Silke Christiansen
Leiterin Rechtsreferat
silke.christiansen@naturschutz-energiewende.de
T.: 030 7673738-21.

Pressekontakt:
Alexander Karasek
Pressesprecher
alexander.karasek@naturschutz-energiewende.de
T.: 030 7673738-15

Waage der Justitia vor der europaeischen Flagge

Foto: Corgarashu – adobe-stock.com

Klarstellung zur
Verwendung der Quelle 21

Berlin, 29.03.2021. Den von RA Maslaton in seinem Offenen Brief vom 10.03.2021 zunächst unterbreiteten Vorschlag, notfalls im Europäischen Parlament auch mit rechtsnationalen Kräften zusammenzuarbeiten, lehnt das KNE selbstverständlich entschieden ab. Mittlerweile hat RA Maslaton diese zurecht heftig kritisierte Passage selbst geändert. Die Verwendung der Quelle ist von unserer Auffassung getragen, uns fachlich mit unterschiedlichen und auch kontroversen Meinungen zu einem Thema auseinanderzusetzen, keinesfalls von einer auch nur annähernden Zustimmung zu diesem politischen Vorschlag. 

Artenvielfalt durch Wildpflanzenmischungen für Biogas produktionsintegriert fördern

Berlin, 23. März 2021

KNE-Lesetipp

Artenvielfalt durch Wildpflanzenmischungen für Biogas produktionsintegriert fördern

Titel: Krimmer, E., Marzini, K., Heidinger, I. (2021): Wildpflanzenmischungen für Biogas: Artenvielfalt produktionsintegriert fördern. Praxisversuche zur ökologischen Aufwertung der Landschaft.

Im Jahr 2020 wurde in Deutschland in zirka 8950 Anlagen Biogas produziert. Über das EEG werden diese Anlagen noch Jahrzehnte gefördert. In der öffentlichen Wahrnehmung sind Biogasanlagen – im Vergleich zu Wind und Solarenergie – weit in den Hintergrund getreten. Berichterstattung über Biogas ist, zumal dieses immer noch weitgehend durch Mais als Hauptenergiepflanze hergestellt wird, häufig negativ konnotiert.

Im vorliegenden Artikel geht es um die Ergebnisse einer Meta-Studie. Darin werten Wissenschaftlerinnen der Bayerischen Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau in Veitshöchheim (LWG) Ergebnisse faunistischer Untersuchungen zu unterschiedlichen Tiergruppen im Zeitraum von 2009 bis 2018 aus. Diese zeigten, dass mit dem Anbau von Energiepflanzen zur Erzeugung von Biogas auch eine Steigerung der Biodiversität in strukturarmen Agrarlandschaften einhergehen kann.

Artenreiche, mehrjährige und pflegeextensive Wildpflanzenmischungen (WPM) zur Biogaserzeugung bieten gegenüber einjährigen Monokulturen viele Vorteile: einen verbesserten Erosionsschutz und eine höhere Trockenresistenz, einen reduzierten Nitrateintrag und einen nur sehr geringen Einsatz von Pestiziden. Davon profitieren verschiedene Tiergruppen: Zumeist zwar Generalisten, mitunter aber auch gefährdete Insektenarten. Infolge größerer Strukturvielfalt und besseren Nahrungsangebots (Insekten, Sämereien) konnten auch Bruten von bundesweit auf der Roten Liste geführten Vogelarten wie Braunkehlchen und Rebhuhn auf WPM-Flächen nachgewiesen werden. Diese dienten auch Säugetieren (z. B. Rehwild) als Deckung, Nahrung und zur Aufzucht des Nachwuchses. Zudem lieferten sie Honig- und Wildbienen Nektar und vielfältige Pollen – auch im Spätsommer, wenn Blütenmangel herrscht, der durch die Klimaerwärmung durch früheres Abblühen bereits jetzt verstärkt wird.

Die ökologische Funktion kann laut den Autorinnen noch gesteigert werden, wenn Blühstreifen nicht zeitgleich vollständig abgeerntet werden, so dass Rückzugsräume für Tiere verbleiben.

Die Studie spricht auch die wichtige Frage der Praxistauglichkeit an. Die Potenziale der Agrarumweltmaßnahmen in den Ländern werden als gering eingeschätzt. Von den Autorinnen wird daher angeregt, WPM-Flächen im Rahmen eines produktionsintegrierten Ansatzes in die betrieblichen Abläufe zu integrieren. Integrierbarkeit ist jedoch nur ein Faktor den Anteil von Blühpflanzen in Agrarlandschaften zu erhöhen. Weil der Methanertrag pro Hektar bei lediglich 45 Prozent des Wertes von Mais liegt, stellt sich auch die Frage, ob finanzielle Einbußen kompensiert werden sollten, um wirksame Anreize für den Blühpflanzeneinsatz zu schaffen.

Der Fachbeitrag veranschaulicht, dass es sich aus Sicht von Natur und Landschaft durchaus lohnt, über die Entwicklung geeigneter (finanzieller) Förderinstrumente für Landwirte nachzudenken, um Agrarlandschaften wieder stärker zu Agrarlebensräumen zu entwickeln.

Quelle: Krimmer, E., Marzini, K., Heidinger, I. (2021): Wildpflanzenmischungen für Biogas: Artenvielfalt produktionsintegriert fördern. Praxisversuche zur ökologischen Aufwertung der Landschaft. Naturschutz und Landschaftspflege 53 (02). S. 12-21.

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Blick auf die Pflanze Rainfarn
Rainfarn, ein gut geeignete Pflanze t in Sachen Ertrag, Biodiversität, Boden- und Gewässerschutz. Zumeist Bestandteil mehrjähriger Wildpflanzenmischungen für die Erzeugung von Biogas.

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Wo steht der sogenannte UMK-Prozess?

Berlin, 22. März 2021

Wo steht der sogenannte UMK-Prozess?

Im Frühjahr 2020 starteten das Bundesumweltministerium (BMU) und die Länder – unter Federführung Hessens – im Rahmen der Konferenz der Umweltminister des Bundes und der Länder (UMK) einen gemeinsamen Arbeitsprozess zum Thema Standardisierung zur verbesserten Vereinbarkeit von Windenergievorhaben an Land mit artenschutzrechtlichen Vorgaben. Die intensiven Beratungen mündeten in einen gemeinsamen Beschluss der Sonder-Umweltministerkonferenz am 11. Dezember 2020 (per Videokonferenz). Die UMK nahm den vorgelegten „Standardisierten Bewertungsrahmen zur Ermittlung einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos im Hinblick auf Brutvogelarten an Windenergieanlagen an Land – Signifikanzrahmen (Stand: 11. Dezember 2020)“ an. Man verpflichtete sich, von der Öffnungsklausel der „Liste kollisionsgefährdeter Brutvogelarten mit besonderer Planungsrelevanz“ nur restriktiv Gebrauch zu machen.

Bis zum Frühjahr 2021 sollte in den Ländern geprüft werden, ob und ggf. welche Anpassungen zur Umsetzung des gemeinsamen Beschlusses in den Ländern erforderlich sind. Notwendige Anpassungen seien bis Herbst 2022 vorzunehmen.

Eine Lenkungsgruppe (das BMU und Hessen nehmen den Vorsitz wahr) wurde beauftragt, weitere Arbeitspakete zu bearbeiten, und zwar zum Repowering, zur Nutzung probabilistischer Verfahren und Methoden sowie zur Herleitung von artspezifischen Schwellenwerten für die Signifikanzbewertung. Die Arbeit erfolgt in länderoffenen Unterarbeitsgruppen (UAG) mit Beteiligung des Bundes und mit Vertretungen der Naturschutzverbände und der Windenergieverbände (jeweils auf Bundesebene).

KNE ist in allen drei Unterarbeitsgruppen vertreten

Die drei UAG konstituieren sich bis Ende März und werden der 96. UMK (21. bis 23. April) ihre Vorhaben (Themen, Herausforderungen) und ihren Zeitplan mitteilen. Das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende ist in allen drei Unterarbeitsgruppen vertreten

Konferenz der Umweltminister des Bundes und der Länder (UMK)

„Die Umweltministerkonferenz (UMK) ist die Fachministerkonferenz für Umweltpolitik, in der die Umweltministerinnen, -minister, -senatorinnen und -senatoren des Bundes und der Länder mit Stimmrecht vertreten sind. Sie dient vor allem der Koordination der Bundesländer. In der UMK sprechen die Länder ihre Vorgehensweise ab, beziehen Position gegenüber dem Bund und suchen nach einvernehmlichen Lösungen mit der Bundesregierung. Die Beschlüsse der UMK in Sachfragen entfalten keine unmittelbare Rechtswirkung. Sie dokumentieren jedoch den gemeinsamen umweltpolitischen Willen, der für eine nachhaltige Entwicklung unserer Gesellschaft wichtig ist. Der Vorsitz der UMK geht mit dem Beginn eines neuen Kalenderjahres in alphabetischer Reihenfolge auf das folgende Land über.“ (Quelle: www.umweltministerkonferenz.de )

Windenergieanlagen vor blauem Himmel
Foto: Zotx, Pixabay.

Fortschreibungen der Länderhandreichungen zu Artenschutz und Windenergie nehmen Fahrt auf

Berlin, 17. März 2021

Fortschreibungen der Länderhandreichungen zu Artenschutz und Windenergie nehmen Fahrt auf

In seiner Übersicht der Länderhandreichungen hat das KNE jetzt unter anderem die Fortschreibungen aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz dokumentiert.

Handreichungen zu Artenschutz und Windenergie sind sowohl für die zuständigen Genehmigungsbehörden als auch für die Projektierer und Gutachterbüros wichtige Orientierungshilfen zum Umgang mit artenschutzrechtlichen Anforderungen bei der Planung und Genehmigung von Windenergievorhaben. Um neue Erkenntnisse aus der Forschung, Praxis und Rechtsprechung berücksichtigen zu können, aktualisieren die Länder ihre Handreichungen zu Artenschutz und Windenergie an Land in regelmäßigen Abständen. Seit Jahresbeginn haben Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz davon Gebrauch gemacht.

Aktualisierter Leitfaden aus Bayern

Die jüngste Fortschreibung eines Leitfadens liegt aus Bayern vor. Anfang März veröffentlichte das Bayerische Landesamt für Umwelt eine Aktualisierung seiner Arbeitshilfe „Vogelschutz und Windenergienutzung – Fachfragen des bayerischen Windenergie-Erlasses“. Die vorgenommenen Änderungen bestehen maßgeblich in der Ergänzung und Ausdifferenzierung erfassungsmethodischer Hinweise bei der Beurteilung von Tötungsrisiken kollisionsgefährdeter Vogelarten, beispielsweise zu Habitatnutzungsanalysen (HNA) und Raumnutzungsanalysen (RNA).

Nach Informationen des Energie- und Wirtschaftsministeriums ist für dieses Jahr eine Komplettüberarbeitung des Bayerischen Windenergieerlasses von 2016 geplant.

Neuer Leitfaden als „Pilot“ in Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg wurden unter Begleitung eines interdisziplinär besetzten Facharbeitskreises neue „Hinweise zur Erfassung und Bewertung von Vogelvorkommen bei der Genehmigung von Windenergieanlagen“ erarbeitet und per Erlass vom 18.01.2021 eingeführt. Die neuen Hinweise greifen eine Reihe von methodischen Bausteinen aus dem laufenden UMK1-Prozess zur untergesetzlichen Maßstabsbildung auf (z. B. gestufte Vorgehensweise bei der Signifikanzbewertung, Einführung eines Nahbereichs um den Brutplatz, angepasste Artenliste, Ausblick auf den perspektivischen Einsatz von Antikollisionssystemen usw.). Eine Besonderheit ist, dass damit in Baden-Württemberg bis auf Weiteres im Rahmen einer Pilotphase bei der Erfassung und Bewertung von Vögeln zwei Vorgehensweisen möglich sind – die nach den neuen Hinweisen oder die nach den alten (LUBW 2015 für die Bewertung sowie 2020 für die Erfassung). Der Projektierer muss sich zu Beginn des Antragsverfahrens auf eine der Vorgehensweisen festlegen. Für die Bauleitplanung sind die neuen Hinweise nicht gültig. Hier werden noch separate Hinweise folgen.

Neue Verwaltungsvorschrift in Hessen

Mit der Veröffentlichung der neuen Verwaltungsvorschrift (VwV) „Naturschutz/Windenergie“ des Hessischen Umwelt- und des hessischen Wirtschaftsministeriums im hessischen Staatsanzeiger trat am 4. Januar 2021 eine aktualisierte Handreichung in Kraft. Die VwV richtet sich vor allem an die Genehmigungsebene von Windenergieanlagen und ersetzt diesbezüglich die Regelungen im alten Leitfaden von 2012. Zudem finden sich Erläuterungen zu den Voraussetzungen für die Ausnahmeerteilung in den hessischen „Vorranggebieten zur Nutzung der Windenergie mit Ausschlusswirkung“. Unter anderem anhand von mehreren landesspezifischen Gutachten wurde die Bewertung von Tötungsrisiken von kollisionsgefährdeten Vogel- und Fledermausarten maßgeblich überarbeitet.

Rheinland-Pfalz wendet zukünftig den beschlossenen Signifikanzrahmen an

In einem Erlass zum Natur- und Artenschutz bei der Genehmigung von Windenergieanlagen im immissionsrechtlichen Verfahren vom 17. Dezember 2020 wird seitens des rheinland-pfälzischen Umwelt- und Energieministeriums gebeten, zukünftig den von der UMK beschlossenen Bewertungsrahmen anzuwenden. Davon abweichende alte Regelungen, insbesondere hinsichtlich der kollisionsgefährdeten Vogelarten, Regelabständen und Regelvermutungen könnten nicht mehr angewendet werden. Den Rahmen konkretisierende Regelungen, wie zum Beispiel der Untersuchungs- und Bewertungsrahmen für den Rotmilan, blieben jedoch in Kraft.

Aktualisierte Leitfadenübersicht zum Stand der Fortschreibungsaktivitäten

Das KNE hat diese und weitere Aktualisierungen in seiner vorgenommen. Die Tabelle soll einen schnellen und kompakten Überblick zu den jeweils aktuellen behördlichen Vorgaben und Empfehlungen sowie zum Stand der Fortschreibungsaktivitäten in den Ländern liefern.

Aktivitäten anlässlich des laufenden UMK-Prozesses

Gemäß aktuellem Beschluss der letzten UMK-Sondersitzung vom 11. Dezember 2020 sind alle Länder aufgefordert, im Frühjahr 2021 ihre jeweiligen Regelungen im Hinblick auf den im Dezember beschlossenen Signifikanzrahmen zu prüfen. Etwaige Anpassungen sollen dann laut dem Beschluss bis zum Herbst 2022 vorgenommen werden.

Das KNE behält die Aktivitäten der Länder im Blick und beteiligt sich aktiv an dem nun anlaufenden Arbeitsprozess zum Signifikanzrahmen in den dafür gebildeten Unterarbeitsgruppen „Repowering“, „Probabilistik“ und „Signifikanzschwellen“.

Das KNE erwartet insgesamt eine zunehmende Dynamik bei den Fortschreibungsaktivitäten und ist für entsprechende Hinweise aus den Ländern dankbar.

1Konferenz der Umweltminister des Bundes und der Länder.

Ihr Ansprechpartner im KNE
Holger Ohlenburg
Referent naturverträgliche Windenergie
holger.ohlenburg@naturschutz-energiewende.de
030-7673738-22

BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth im KNE-Podcast

Berlin, 16. März 2021

BMU-Staatssekretär Jochen Flasbarth im KNE-Podcast

Dialog zwischen Naturschutz und Energiewende bleibt wichtig

„Als ich noch NABU-Präsident war und die ersten Windenergieanlagen entstanden sind, waren die Auseinandersetzungen nicht weniger hart als sie auch heute zum Teil sind. Insgesamt sehe ich aber, dass insbesondere auch die großen Verbände, sowohl auf der Seite der Energiewirtschaft wie auch des Naturschutzes Gesprächsformate finden, um ihre Anliegen wechselseitig zu verstehen. Und das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende ist ja letztlich nichts anderes als der Ort, an dem auch gerade dieses Zusammenführen von Positionen stattfinden soll“, betont Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit.

In einer neuen Folge des KNE-Podcasts „Naturschutz und Energiewende“ sprechen KNE-Direktor Dr. Torsten Raynal-Ehrke und KNE-Geschäftsführer Michael Krieger mit ihrem Gast über den naturverträglichen Ausbau erneuerbarer Energien, aber auch über den Menschen hinter dem Amt.

Auf die Frage nach einer stärkeren Bund-Länder-Koordination bei der Energiewende bekräftige Flasbarth: „Sobald wir Mengenziele [des Bundes] haben, können viele Konflikte über die räumliche Steuerung durch Eignungsgebiete und Ausschlussgebiete auf der planerischen Ebene vermieden werden. Dafür müssen wir aber auch die Länder im Bundesrat gewinnen.“

Was die Eignung von Natura-2000-Gebieten für die Energiewende betreffe, wies Flasbarth darauf hin, dass es sich dabei um „die Juwelen des Naturschutzes und nicht um vermutete Vorranggebiete für Windenergie“ handle. Rein rechtlich sei eine Nutzung aber auch nicht ausgeschlossen.

Mit Blick auf die internationale Energiewende betonte der Staatssekretär, dass sich die Zusammenarbeit mit Regierungen weltweit enorm verbessert habe. „Das Pariser Klimaabkommen ist eine enorm wichtige Festlegung, weil damit das wichtige Signal gegeben wird, dass wir 2050 eine komplett treibhausgasneutrale Wirtschaft haben.“

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Der Podcast ist auch auf der Internetseite des Bundesumweltministeriums zu finden.

Der KNE-Podcast

Dialoge – Debatten – Denkanstöße: Der KNE-Podcast beschäftigt sich mit aktuellen Fragen rund um die naturverträgliche Energiewende. Wie können Vogelkollisionen an Windenergieanlagen vermieden werden, wie lassen sich Konflikte beim Ausbau erneuerbarer Energien vor Ort klären, und was alles muss berücksichtigt werden, damit eine Erneuerbaren-Anlage genehmigt werden kann? Diesen und vielen weiteren Fragen gehen die Moderatoren Dr. Torsten Raynal-Ehrke; Direktor des KNE, und Geschäftsführer Michael Krieger mit ihren Gästen nach.

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