DOSSIER

10 Fragen – 10 Antworten
zur „PROGRESS-Studie“

(Grünkorn et al. 2016)

Veröffentlicht: Januar 2018
Autoren: Eva Schuster, Dr. Elke Bruns

Das KNE führte im Frühjahr 2017 eine Befragung potenzieller Anwender zur „PROGRESS-Studie“ durch. Das Ziel war es, die Verbreitung der Studienergebnisse zu ermitteln und zu sondieren, über welche Ergebnisse und Sachverhalte möglicherweise Unklarheiten oder unterschiedliche Auffassungen bestehen. Die Auswertung der Befragung ergab, dass die Ergebnisse der Studie nicht bei allen Befragten im Detail bekannt waren.
Zum anderen zeigte sich, dass die Ergebnisse durchaus uneinheitlich interpretiert und verwendet werden. Dies ist teils auf Missverständnisse oder fehlende Detailkenntnisse, teils auf eine bislang noch nicht abgeschlossene fachliche Einordung der Ergebnisse zurückzuführen. Auch wenn eine vertiefte Auseinandersetzung stattgefunden hat, schließt dies eine uneinheitliche (interessengeleitete) Interpretation der Ergebnisse nicht aus.
Mit den 10 Fragen – 10 Antworten zur „PROGRESSStudie“ werden zentrale Themen der Studie, über deren Einordnung Unsicherheiten oder divergierende Auffassungen bestehen, aufgegriffen und erläutert. Das Dokument leistet damit einen Beitrag zur Verbreitung der Studieninhalte und zu einer Versachlichung des andauernden Diskurses über die Validität der Ergebnisse und die aus den Forschungsergebnissen zu ziehenden Konsequenzen.

1. Was war das Ziel der „PROGRESS-Studie“? Was sollte mit dem Untersuchungsansatz ermittelt bzw. belegt werden?

Ein Ziel des Forschungsprojektes war es, die methodischen Grundlagen für eine artspezifische Abschätzung von Kollisionsraten von Vögeln an WEA zu verbessern. Dazu führte ein Forschungsteam im Norddeutschen Tiefland großflächige systematische Schlagopfersuchen an Windenergieanlagen (WEA) in standardisierter Form durch. Die Schlagopfersuche ist ergänzend zur Beobachtung des Flugverhaltens der Arten Voraussetzung für die Ermittlung von Kollisionsrisiken. Aus pragmatischen Gründen (Zeit, Kosten) war die Schlagopfersuche auf das Norddeutsche Tiefland begrenzt. Ziel war es, für

diesen Raum repräsentative Daten zu ermitteln. Ergänzend zur Schlagopfersuche durch Begehungen wurden weitere methodische Ansätze wie das Band-Modell¹ sowie die Raumnutzungsanalyse hinsichtlich der Aussagefähigkeit für die artspezifische Schätzung der Kollisionsraten überprüft. Mögliche Effekte von Habitat- und Anlagenfaktoren auf das Kollisionsrisiko wurden modelliert. Mit Hilfe eines Modells sollte darüber hinaus gezeigt werden, welchen Einfluss die geschätzten Kollisionsraten einzelner Vogelarten für die langfristige Populationsentwicklung haben.

¹ Bei dem nach dem Autor benannten „Band-Modell“ handelt es sich um ein Collision-Risk-Model (CRM), das auf den Daten von Raumnutzungsbeobachtungen basiert. Es kommt in anderen Ländern für die Prognose von Kollisionsgefahren an geplanten WEA-Standorten zum Einsatz.

2.  Kommen die Schätzungen der Kollisionsraten sowie die Modellierung der Auswirkungen auf Populationsebene zu belastbaren Ergebnissen?

Hochrechnungen, Schätzungen und Modellierungen stellen Analyse- bzw. Prognosemethoden dar, die angewendet werden, wenn der abzubildende bzw. zu prognostizierende Sachverhalt hochkomplex und die Datenlage unvollständig ist bzw. Daten nur mit hohem Aufwand überhaupt gewonnen werden können. Um dieses unvollständige Wissen zu kompensieren, sehen die Methoden eine Reihe von Annahmen vor. Die Annahmen selbst wie auch die daraus folgenden Unsicherheiten werden transparent dargestellt und begründet und bei der Ergebnisdiskussion entsprechend berücksichtigt. Der Vorteil dieser Methoden besteht darin, dass auf einer bestmöglichen Datenlage Hinweise über Entwicklungstendenzen abgeleitet werden können. Die Entscheidung darüber, welche Ergebnisse derartiger Methoden für die Beurteilung von zum Beispiel Kollisionsraten im Planungs- und Genehmigungsfall relevant sind und wie mit ihnen umgegangen werden sollte, ist Gegenstand eines anschließenden Diskurses mit der Fachöffentlichkeit, ebenso der Abgleich mit weiteren Erfahrungen aus der Praxis. Dieser Prozess ist in Bezug auf die „PROGRESS-Studie“ aktuell noch nicht abgeschlossen.

Im Zuge der „PROGRESS-Studie“ wurden aktuelle, einschlägige Ansätze zur Schätzung von Kollisionsraten und Modellierung der Auswirkungen von kollisionsbedingten Verlusten auf die Populationsebene gewählt (vgl. Korner-Nievergelt et al. 2013). Die dafür zu treffenden Annahmen, Schwächen in der Datengrundlage und die resultierenden Unsicherheiten wurden an unterschiedlichen Stellen der Studie angeführt. Grünkorn et al. (2016) begründen die Wahl der Methode (Hochrechnung der Schlagopfer, Schätzung der Kollisionsraten, Modellierung der Betroffenheit) damit, dass für eine großflächige Untersuchung keine alternativen Herangehensweisen, wie eine flächendeckende Erfassung, bestünden. Wie die Belastbarkeit der Ergebnisse der Studie einzustufen ist, wird ebenfalls auf Seite 97 ausgeführt: „Allerdings bietet der bei PROGRESS gewählte extensive Ansatz auch den Vorteil, dass viele WEA in vergleichsweise vielen WP [Windparks] in Norddeutschland untersucht werden konnten, so dass die Schätzungen für das Untersuchungsgebiet von PROGRESS vielleicht wenig präzise sind, aber dennoch einen Eindruck von der Größenordnung der zu erwartenden Anzahl von Kollisionsopfern vermitteln.“

3.  Sind die gefundenen bzw. geschätzten Schlagopferzahlen sowie die Einschätzungen zur artspezifischen Betroffenheit auf andere als die untersuchten Naturräume übertragbar?

Die Erkenntnisse der Studie, die sich auf das Norddeutsche Tiefland beziehen, sind nicht auf andere Naturräume übertragbar. Dies wird von den Autoren auch hervorgehoben. Aufgrund der deutlichen Unterschiede insbesondere bei der Topographie, der Waldbedeckung und der WEA-Dichte bestünden im Mittelgebirgsraum und in Süddeutschland andere Voraussetzungen, die einen relevanten Einfluss auf Kollisionsraten haben

können. So dürften Artzusammensetzung und Häufigkeit im Binnenland anders sein als in Küstennähe. Es ist zu erwarten, dass sich dadurch Unterschiede in den artspezifischen Fundzahlen ergeben. Gleiches gelte auch für die Korrekturfaktoren (u. a. Verbleiberate von Kadavern), die nicht auf andere Standorte übertragen werden können.

4.  Lassen die niedrigen Fundzahlen für viele Arten den Schluss zu, dass sie nicht zu den kollisionsgefährdeten Arten gehören?

Die Fundzahlen beziehen sich auf das Norddeutsche Tiefland und die dort vorkommenden Arten. Für einige Arten fanden die Forschungsnehmer nur geringe Schlagopferzahlen. Die Autoren zogen daraus den Schluss, dass für häufig vorkommende Arten mit geringen Schlagopferzahlen im Norddeutschen Tiefland Entwarnung gegeben werden könne. Die Entwarnung gelte aber nur für das untersuchte Gebiet. Für seltene Arten könne generell keine Entwarnung gegeben werden (vgl. auch Ammermann, 17.11.2016, mdl. für das Bundesamt für Naturschutz).

Niedrige Fundzahlen bedeuteten jedoch nicht, dass die vorkommenden Arten nicht kollisionsempfindlich seien. Entwarnung könne erst gegeben werden, wenn ausgeschlossen sei, dass die Art im Untersuchungsgebiet selten ist. Es sollte ausgeschlossen sein, dass die niedrigen Zahlen nicht darauf zurückzuführen sind, dass der Verbreitungsschwerpunkt sowie die Brutzeit der jeweiligen Art im Zuge der Untersuchung nicht hinreichend genau abgedeckt wurden.

5. Warum weichen die Ergebnisse der „PROGRESS-Studie“ von den Erkenntnissen der Zentralen Fundopfer-Kartei der VSW ab?

Grundsätzlich können die Ergebnisse der „PROGRESS-Studie“ nicht ohne Weiteres mit der Fundopfer-Kartei der VSW (sogenannte „Dürr-Liste“) verglichen werden. Die Fundopfer-Kartei bezieht sich auf das gesamte Bundesgebiet und beinhaltet Funde seit 2002. Die Ergebnisse der „PROGRESS-Studie“ umfassen hingegen einen wesentlich kürzeren Untersuchungszeitraum (Frühjahr 2012 und Frühjahr 2014) und beziehen sich nur auf das Norddeutsche Tiefland. Dies könnte erklären, warum Arten, die sich in Küstenregionen aufhalten, unter den Schlagopfern stärker vertreten sind. Einzelne Arten können schwächer vertreten sein, weil die Schlagopfersuche im Forschungsprojekt nicht alle Verbreitungsschwerpunkte einzelner Arten (Rotmilan, Seeadler, Schwarzmilan) oder alle Brutzeiten (Rotmilan, Mauersegler) hinreichend abgedeckt hat. Ein weiterer Grund für Unterschiede könnte mit den unterschiedlichen Erfassungsmethoden (standardisierte vs. heterogene Erfassung) zusammenhängen.

Beide Fundzahlermittlungen kommen trotz im Detail abweichender Zahlen – unter Bezugnahme auf die Bestandsgrößen der Arten – zum Schluss, dass Greif- und Großvögel überproportional häufig an WEA kollidieren.

6. Stellen die in der „PROGRESS-Studie“ angewandten Untersuchungsmethoden (Kollisionsopfersuche, Schätzung der Kollisionsrate, Modellierung der Betroffenheit) eine im Genehmigungsverfahren anwendbare Methode dar?

Die Methodik der Kollisionsopfersuchen an WEA durch Transektbegehungen ist in Wissenschaft und Praxis erprobt. Allerdings ist die Methodik sehr aufwändig. Ihre Aussagefähigkeit ist von der Dichte und Häufigkeit der Begehungen (Suchraster) und dafür eingesetzten Hilfsmitteln (z. B. Hunde) abhängig. Die Methodik wird – unter Verwendung von Korrekturfaktoren (bspw. Verbleiberate von Kadavern, Sucheffizienz, räumliche Verteilung der Schlagopfer) – eingesetzt, um damit Aussagen für großflächige Gebiete (hier z. B. das Norddeutsche Tiefland) treffen zu können. Im Hinblick auf die Übertragbarkeit ist zu bedenken, dass auch die Korrekturfaktoren für das jeweilige Untersuchungsgebiet/ den jeweiligen Naturraum spezifisch zu ermitteln sind und nicht ohne Weiteres übertragen werden können. Die ermittelten Faktoren sind, laut Autoren nicht übertagbar (s. Antwort Nr. 3). Mit Hilfe von Korrekturfaktoren und einer standardisierten Vorgehensweise können Hochrechnungen

vorgenommen werden, so zum Beispiel vom Untersuchungszeitraum auf ein ganzes Jahr (unter Einbeziehung nicht untersuchter Zeiträume) sowie auf das gesamte Projektgebiet (unter Einbeziehung nicht abgesuchter WEA). Im Rahmen der „PROGRESS-Studie“ wurde ein eher extensives Untersuchungsdesign gewählt, um mit begrenztem bzw. leistbarem Aufwand bestmögliche Ergebnisse zu erzielen. Aus den auf Windpark-Ebene erhobenen Stichprobenzahlen wurden – unter Verwendung der wissenschaftlich ermittelten Korrekturfaktoren – Hochrechnungen für das gesamte Norddeutsche Tiefland erstellt. Arten mit weniger als zehn Fundopfern wurden aus der weiteren Betrachtung (Schätzung der Kollisionsrate, Auswirkungen auf Populationsebene) ausgeschlossen. Die entwickelte Methodik zielt nicht auf eine Erstellung von Hochrechnungen für einzelne Standorte ab, da hierfür eine zu geringe Stichprobenzahl vorliegen würde.

7. Welche Aussagen und Empfehlungen zur Beurteilung und Bewältigung des Kollisionsrisikos im Zuge der Standortfindung werden von den Autoren aus den Erkenntnissen abgeleitet?

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass generell Vogelkollisionen für keine WEA und keine Art völlig ausgeschlossen werden können. Jedoch weisen Vögel große art- und abundanzspezifische Unterschiede hinsichtlich des Kollisionsrisikos auf. Hohe Kollisionsraten haben insbesondere häufige Arten. Außerdem kollidieren, in Relation zum Bestand, Greifvögel überproportional häufig. Ob ein signifikant erhöhtes Kollisionsrisiko (Tötungsrisiko) vorliegt, kann jedoch nicht allein an der Anzahl der Opfer, geschweige denn an pauschalierten, quantitativen Schwellenwerten (z. B. Anzahl der tolerierbaren

Vogelschlagopfer) festgemacht werden. Die Signifikanzschwelle ist grundsätzlich artspezifisch und hängt darüber hinaus von der Größe des regionalen Bestands ab. Daher sei eine Beurteilung des Tötungsrisikos immer im Einzelfall und unter Berücksichtigung lokaler Spezifika vorzunehmen. Im Rahmen der Studie wurde (erneut) festgestellt, dass weder das Band-Modell noch die Berücksichtigung von Habitat- und WEA-Eigenschaften für die Beurteilung des signifikant erhöhten Kollisionsrisikos (Tötungsrisikos) geeignete Prognose- und Bewertungsmethoden darstellten. Auch die Raumnutzungsanalyse

7. Welche Aussagen und Empfehlungen zur Beurteilung und Bewältigung des Kollisionsrisikos im Zuge der Standortfindung werden von den Autoren aus den Erkenntnissen abgeleitet?

eignet sich dafür nur begrenzt. Aussagen über das Eintreten eines signifikant erhöhten Kollisionsrisikos für die gesamte Genehmigungsperiode einer WEA seien aufgrund der raum-zeitlichen Variabilität insbesondere in landwirtschaftlich genutzten Gebieten und für wenig standorttreue Arten mit Unsicherheiten behaftet. Angesichts der bestehenden Prognoseunsicherheiten empfehlen die Autoren deshalb eine Kombination verschiedener Ansatzpunkte für die Vermeidung von Kollisionsrisiken. Hierzu gehören neben dem Einhalten von ausreichenden Abständen zum Brutplatz (Abstandsempfehlung) und der Identifizierung von regelmäßig genutzten Nahrungsgebieten und Flugwegen für geeignete Zielarten (Raumnutzungsanalyse) auch die so genannte „artenschutzrechtliche Betriebsbegleitung“.

Sie umfasst:

  • die Durchführung von Schutzmaßnahmen (z. B. Habitatverbesserung andernorts) sowie
  • die Betriebsüberwachung (Monitoring), ggf. in Verbindung mit
  • temporären Betriebseinschränkungen.

Für die Betriebsüberwachung kommen nach Aussage der Autoren (vgl. FA Wind 2017, S. 31) technische Überwachungssysteme (bspw. automatische Vogelerkennung, Vergrämung und ggf. bedarfsgerechte Abschaltung) in Frage. Die verfügbaren Technologien hätten ein großes Potenzial, jedoch sind sie nach heutigem Entwicklungsstand noch nicht in der Lage, Vogelkollisionen mit ausreichender Sicherheit zu vermeiden. Ihr Einsatz ist in Deutschland daher bisher nur auf Forschungsund Pilotvorhaben beschränkt.

8. Werden die Empfehlungen des „Helgoländer Papiers“ durch die Ergebnisse der „PROGRESS-Studie“ infrage gestellt?

Das „Helgoländer Papier“ (LAG VSW 2015) beinhaltet Empfehlungen für Mindestabstände zu Brutplätzen kollisionsempfindlicher Vogelarten. Darüber hinaus nennt es Prüfbereiche, in denen sich beispielsweise bevorzugte Flugrouten oder Jagd- und Streifgebiete befinden können. Diese Bereiche sollten von WEA freigehalten werden. Falls erforderlich können WEA auch innerhalb des Prüfbereichs errichtet werden, wenn nämlich mittels einer Raumnutzungsanalyse auf der Basis standortspezifischer Informationen über Flugwege und Aktionsräume nachgewiesen wird, dass Kollisionsrisiken nicht vorliegen bzw. nicht signifikant erhöht sind. Auch die „PROGRESS-Studie“ beinhaltet die Empfehlung, ausreichend Abstand zu Brutplätzen kollisionsgefährdeter Arten einzuhalten und Flugwege sowie wichtige Nahrungsgebiete freizuhalten. Bei der Empfehlung über das Ausmaß von „ausreichenden“ Abständen zu Brutplätzen weichen die beiden Quellen jedoch in manchen Teilen ab, wobei sich die „PROGRESS-Studie“ insbesondere auf die Werte von Hötker et al. (2013) bezieht. Es wird angemerkt, dass die Empfehlungen der LAG VSW bezogen auf den Rotmilan und den Seeadler über die Empfehlungen von Hötker et al. (2013) hinausgehen. An dieser Stelle wird eine Überprüfung der Wirksamkeit von Abstandsregelungen empfohlen. Die LAG VSW setzte dem entgegen, dass das „Helgoländer Papier“ von 2015 bereits aktuellere Studien berücksichtigt habe. Um Flugwege sowie wichtige Nahrungsgebiete zu ermitteln, empfiehlt auch die „PROGRESS-Studie“ die Durchführung von Raumnutzungsanalysen – allerdings nicht allein. Aufgrund der unvermeidlichen Prognoseunsicherheiten empfehlen die Autoren ergänzend eine so genannte „artenschutzrechtliche Betriebsbegleitung“ (s. Antwort Nr. 7). Damit gehen sie über die Empfehlungen des „Helgoländers Papiers“ hinaus.

Beide Quellen verweisen auf die eingeschränkte Aussagekraft der Raumnutzungsanalysen (im „Helgoländer Papier“ wird dazu auf die Ausführungen von Langgemach und Meyburg 2011 verwiesen). Diese stellten lediglich eine „Momentaufnahme“ dar. Angesichts der raum-zeitlichen Variabilität der Raumnutzung sei die Methode wenig geeignet, das Raumnutzungsverhalten für den gesamten Betriebszeitraum zu prognostizieren. Beide Quellen stimmen darin überein, dass Raumnutzungsanalysen für wenig standorttreue Arten, in Bereichen mit stark variierender Landnutzung (Nahrungsangebot) und in Abhängigkeit von intra- und interspezifischen Interaktionen keine Aussagekraft besitzen. Auch hinsichtlich der Empfehlung, eine Raumnutzungsanalyse auf eine möglichst umfassende Datengrundlage und auf möglichst „lage-stabile“ Landschaftselemente zu stützen, stimmen die Empfehlungen überein.

9. Ist der Mäusebussard, aufgrund der vergleichsweise hohen Fundzahlen und der modellierten Betroffenheit als kollisionssensible Art im Genehmigungsverfahren künftig mit abzuprüfen?

Die Autoren haben im Norddeutschen Tiefland hohe Schlagopferzahlen beim Mäusebussard festgestellt. Zwar sei damit nach Aussage der Autoren aufgrund des großen Bestandes in Deutschland aktuell keine Bestandsgefährdung verbunden. Regional seien aber starke Bestandsrückgänge zu verzeichnen, wobei unklar sei, welche Faktoren (Windenergieausbau, Landwirtschaft usw.) zu welchen Anteilen dafür verantwortlich sind. Regional könnten Verluste durch Vogelkollisionen demnach auch Bestandsgefährdungen hervorrufen. Dass der Mäusebussard in vergleichsweise großer Anzahl mit WEA kollidiert, ist bereits aus der FundopferKartei der VSW Brandenburg bekannt. Dennoch wurde die Art nicht in die Liste der kollisionsgefährdeten Arten des neuen „Helgoländer Papiers“ aufgenommen. Somit wäre die Art in Planungs- und Genehmigungsverfahren für WEA nicht regelmäßig zu erfassen und nicht im Hinblick auf Tötungsrisiken zu beurteilen. Eine Ausnahme stellen die Hinweise des Niedersächsischen Landkreistages von 2014 dar. Hier wird der Mäusebussard bereits als planungsrelevante Art aufgeführt. Wie eine Befragung des KNE zeigt, ist die Erfassung und Prognose von Kollisionsrisiken für den Mäusebussard in der Genehmigungspraxis jedoch nicht ausgeschlossen und wird praktiziert.

Es stellt sich die Frage, ob die derzeitige Empfehlungslage ausreicht, um den Mäusebussard-Bestand national wie regional ausreichend zu sichern oder ob Anpassungen im Regelwerk vorgenommen werden sollten. Eine Positionierung der Vogelschutzwarten, ob die Aufnahme des Mäusebussards aus bundesweiter Sicht angesichts der (noch) hohen Bestandszahlen gerechtfertigt sei, steht noch aus. Eine Überarbeitung des „Helgoländer Papiers“ wurde nicht angekündigt und scheint derzeit nicht wahrscheinlich. Auch ist die Meinungsbildung in den Länderfachbehörden für Naturschutz, ob die Länderleitfäden und Empfehlungen zum Windenergieausbau an die Gefährdungslage angepasst werden sollten, noch nicht abgeschlossen. Das Bundesamt für Naturschutz vertritt die Position, dass die Art im Regelfall keine „Planungsrelevanz“ habe (Ammermann mdl., 17.11.2016). Es bezieht sich dabei auf den art- und vorhabenbezogenen Mortalitätsgefährdungsindex nach Bernotat und Dierschke (2016). In Dichtezentren könne hingegen eine Planungsrelevanz gegeben sein (ebd.).

10. Wie könnte nach Auffassung der Autoren über die vorhabenbezogen zu prüfende Einhaltung des Tötungsverbots hinaus, ein effektiverer Artenschutz erreicht werden?

Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Ausbaus der Windenergienutzung und der bestehenden Unsicherheiten führen die Autoren an, dass kumulative Effekte künftig aus artenschutzrechtlicher Sicht eine immer größere Rolle spielen werden. Diese seien frühzeitig auf oberster Planebene zu berücksichtigten. Die Empfehlungen umfassen zum einen regional übergreifende Lösungsansätze und zum anderen Hinweise in Hinblick auf die Bewertung und Bewältigung dieser Auswirkungen. Die Empfehlungen umfassen:

  • Großräumige Artenschutzprogramme mit dem Ziel, Kollisionsverluste durch Habitatverbesserungen auszugleichen, wodurch die Reproduktionsrate gesteigert und andere anthropogene Mortalität vermindert werden sollen;
  • Identifizierung und Schutz von artspezifischen Dichtezentren – die von besonderer Bedeutung für den Schutz und die Förderung der Quellpopulationen sind – durch Freihaltung oder Artenhilfsmaßnahmen;
  • Konzeptentwicklung und Praxis-Erprobung einer artenschutzrechtlichen Betriebsbegleitung;
  • Forschung zu Ausmaß und Bewältigung kumulativer Auswirkungen sowie zur Wirksamkeit konkreter Vermeidungs- und Verminderungsmaßnahmen für Kollisionsverluste.

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