25.09.2023

Neue Forschungsberichte für eine naturverträgliche Windenergie

Im Hinblick auf die Umsetzung einer Energiewende, die den Natur- und Artenschutz angemessen sichert, stehen nun aktuelle Ergebnisse und Empfehlungen aus verschiedenen Forschungsprojekten zur Verfügung.

Überarbeitetes „Fachkonzept Habitatpotentialanalyse“ online

Die Habitatpotenzialanalyse (HPA) soll zukünftig eine Standardmethode sein, um zu ermitteln, ob bei vorhandenen Brutplätzen kollisionsgefährdeter Brutvogelarten in den Prübereichen rund um geplante Windenergieanlagen ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht. Sie soll eine Bewertung von Kollisionsrisiken anhand der Habitatausstattung im Vorhabenumfeld ermöglichen. Hierbei kann weitestgehend auf Luftbilder und Karten zurückgegriffen werden, wodruch der Arbeits- und Zeitaufwand deutlich reduziert wird. Die HPA soll die zeitaufwändigen Raumnutzungsanalysen ablösen, bei denen die Flugwege relevanter Individuen im Gelände beobachtet und ausgewertet werden.

Seit Anfang September findet sich das überarbeitete „Fachkonzept Habitatpotentialanalyse“ auf der Internetseite des BMWK zum Download. Das von der ARSU GmbH im Auftrag des BMWK erarbeitete Gutachten wurde auf Grundlage von Stellungnahmen der Bundesländer und Verbände überarbeitet. Auch das KNE hatte eine entsprechende Stellungnahme abgegeben. Auf Grundlage des Fachkonzeptes soll nun zügig eine entsprechende Rechtsverordnung zur HPA erarbeitet und von Bundestag und Bundesrat verabschiedet werden.

Zur KNE-Stellungnahme zum „Fachkonzept Habitatpotentialanalyse“

Reichenbach, M., Steinkamp, T., Menke, K. (2023): Fachkonzept Habitatpotentialanalyse. Teilbericht des Projekts: Standardisierung der artenschutzfachlichen Methode im Genehmigungs- und Planungsverfahren. Im Auftrag des BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Oldenburg. 84 S. Link zum Dokument.

NatForWINSENT II – Ergebnisbericht der Voruntersuchungsphase veröffentlicht

An einem Standort im baden-württembergischen Landkreis Göppingen wird neben technischen Fragen der Optimierung von Windenergieanlagen (WEA) in bergig-komplexem Gelände auch Naturschutzbegleitforschung betrieben. Dabei stehen die Entwicklung und die Bewertung der Wirksamkeit von Maßnahmen zur Verminderung von Kollisionsrisiken im Fokus. Um entsprechende Vorher-Nachher-Vergleiche – mit und ohne Windenergieanlagen – anstellen zu können, wurden Untersuchungen zu Vorkommen und Verhalten von Vögeln, Fledermäusen sowie die Insektenabundanz am Standort des Testfeldes ohne WEA untersucht. Zeitgleich wurden Witterungsparameter erfasst, um diese mit den Flug- und Verhaltensdaten in Beziehung zu setzen und sie bei der Weiterentwicklung von Vermeidungsmaßnahmen, beispielsweise von Antikollisionssystemen berücksichtigen zu können. Zu letzteren forscht aktuell auch das KNE (FuE-Vorhaben: Antikollisionssysteme in der Praxis).

Die gesammelten Daten sollen in der Phase II des Projektes mit Daten abgeglichen werden, die im laufenden Betrieb der WEA ermittelt werden. Einzigartig und besonders vorteilhaft ist, dass zusätzlich vier Messmasten im Anlagenumfeld zur Datenerhebung genutzt werden können und, dass durch die Möglichkeit der aktiven Steuerung der Forschungs-WEA auch das Verhalten von Vögeln, Fledermäusen und Insekten bei unterschiedlichen Betriebszuständen – zwischen maximaler Drehzahl und Trudelbetrieb – ananlysiert werden kann. Die Anlagen des Testfeldes sind mittlerweile errichtet, erste Untersuchungen im Trudelbetrieb laufen bereits.

Musiol, F., Anger, J., Stark, H., Aschwanden, J., Liechti, F., Lüdtke, B., Hurst, J., Schauer-Weisshahn, H., Hochradel, K., Happ, C., Reers, H., Radford, S., Grimm, J., Lissak, W., Klingseis, T. (2023): FUmsetzung der Naturschutzforschung am Windtestfeld an Land. NatForWINSENT II: Phase 1 – Vorher-Untersuchungen. BfN-Schriften 649|2023. BfN – Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Bonn. 283 S. Link zum Dokument.

Forschungsbericht zur Wirksamkeit von Lenkungsmaßnahmen für den Rot- und Schwarzmilan

Ziel des vom BfN geförderten Vorhabens war es, Kenntnislücken bezüglich der räumlichen und zeitlichen Attraktionswirkung von Bewirtschaftungsereignissen auf Rot- und Schwarzmilane zu schließen und auf Grundlage der Erkenntnisse die Maßnahme der bewirtschaftungsbedingten Abschaltungen von Windenergieanlagen zur Minimierung von Kollisionsrisiken sowie die Lenkungswirkung von Maßnahmenflächen und deren Bewirtschaftung beurteilen zu können. Beides sind Maßnahmen, die mittlerweile nach Anlage 1 BNatSchG als wirksame Schutzmaßnahmen gelten – das Vorhaben war jedoch bereits vor der BNatSchG-Änderung (vgl. KNE-Publikation „Die Vorschriften zur Windenergie an Land im Bundesnaturschutzgesetz 2022“) abgeschlossen. Die Erkenntnisse und Empfehlungen können als Grundlage für fachliche Diskussionen und die Evaluation der rechtlichen Regelungen dienen.

Die Untersuchungen erfolgten durch Telemetrierung und Raumnutzungsbeobachtungen der Flugaktivität von Rot- und Schwarzmilanen in zwei Untersuchungsgebieten im agrarisch geprägten Flachland (Sachsen-Anhalt) sowie in einem weiteren Untersuchungsgebiet im Saarland mit kleinstrukturierer Mittelgebirgslandschaft. Bei brütenden Rotmilanen zeigte sich eine starke Horstbindung, beim Schwarzmilan war diese geringer und die Aktionsräume dementsprechend größer. Eine interessante Erkenntnis ist, dass bei beiden Arten große individuelle Unterschiede in der Habitatnutzung bestehen.

Die Forschenden kamen zu dem Schluss, dass für Rot- und Schwarzmilane die „Anlage von Mahdflächen (oder anderen Bewirtschaftungsweisen) zur Ablenkung […] nicht ausreichend wirksam und daher als Vermeidungsmaßnahme allein ungeeignet“ sei. Durch die deutlich höhere Präferierung von Maßnahmenflächen zur Nahrungssuche und die erwartbare höhere Nahrungsverfügbarkeit könnten die Maßnahmenflächen jedoch im Rahmen von FCS-Maßnahmen (bzw. nunmehr auch im Rahmen von Artenhilfsprogrammen) eingesetzt werden.

Aus den Untersuchungsergebnissen, die prinzipiell eine hohe Anlockwirkung und Aktivität beider Arten während und nach Mahd, Ernte, Folgebewirtschaftung und Bodenbearbeitung belegten, wurden Empfehlungen zur Ausgestaltung bzw. Weiterentwicklung von Bewirtschaftungsabschaltungen abgeleitet.

Mammen, U., Böhm, N., Mammen, K., Uhl, R., Arbeiter, S., Nagl, D., Resetaritz, A., Lüttmann, J. (2023): BfN-Schrift „Prüfung der Wirksamkeit von Vermeidungsmaßnahmen zur Reduzierung des Tötungsrisikos von Milanen bei Windkraftanlagen“. BfN-Schriften 669 | 2023. BfN – Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.), Bonn. 241 S. Link zum Dokument.