19.07.2023

30 Prozent Flächennaturschutz bis 2030 – Kriterien und Prioritäten

Beierkuhnlein, C., Stahlmann, R., Geist, J. (2023): Erfüllung der Ziele im Flächennaturschutz bis zum Jahr 2030 – Kriterien und Prioritäten

Deutschland hat sich international verpflichtet 30 Prozent der Bundesfläche bis 2030 als Schutzgebiete auszuweisen. Bisher sind erst 15,5 Prozent der terrestrischen Fläche Deutschlands durch Natura 2000 geschützt. Beierkuhnlein und seine Kollegen zeigen auf, wie eine systematische, effiziente und evidenzbasierte Erweiterung der Schutzgebiete umgesetzt werden könnte. Den Autoren gelingt es, die Herausforderungen und Potenziale der aktuellen Erfordernisse kompakt auf den Punkt zu bringen und ein bündiges und nachvollziehbares Fazit für die Praxis zu entwickeln.

Hintergrund

Schutzgebiete sind ein wesentliches Instrument für den Biodiversitätsschutz. Jedoch gehen die Artenvielfalt und die Biomasse auch in diesen Gebieten stark zurück. Zunehmend wird erkannt, dass die bisherige Schutzgebietspraxis nicht ausreicht, um den Biodiversitätsverlust zu stoppen. Potenziell steigt das Risiko von Zielkonflikten durch die Gleichzeitigkeit von Schutzinteressern wie Arten-, Boden-, Gewässer- und Klimaschutz sowie der Nutzinteressen wie Lebensmittel- und Energieproduktion. Zudem ist die notwendige räumliche Verknüpfung bzw. Beseitigung von Ausbreitungsbarrieren zwischen Schutzgebieten bisher noch mangelhaft, und wichtige Elemente des Bundeskonzeptes „Grüne Infrastruktur“ von 2017 sind noch immer nicht umgesetzt. Mobilen Arten können so nicht die nötigen Anpassungs-Wanderungen an den stattfindenden Klimawandel vollziehen.

Deutschland verpflichtet sich sowohl gegenüber der „Post 2020“ Strategie des GBF (Global Biodiversity Framework) als auch als Teil der EU-Biodiversitätsstrategie zu einer umfassenden Erweiterung des Schutzgebietsnetzwerks bis 2023 auf 30 Prozent der Fläche Deutschlands. Ziel ist es, den dramatischen Biodiversitätsverlust zu stoppen und die Ökosystemfunktionen und -dienstleistungen für den Menschen zu sichern („30-by-30“). Durch das Natura-2000-Netzwerk sind bisher 15,5 Prozent der terrestrischen Fläche Deutschlands und 45 Prozent der marinen Flächen geschützt.

Biodiversitätsschutz in Deutschland

Vor dem Hintergrund der bis 2030 neu auszuweisenden Schutzgebiete beleuchten die Autoren in ihrem Artikel kritisch den derzeitigen Stand des Biodiversitätsschutzes in Deutschland.

Obwohl in Deutschland bereits eine große Zahl an Schutzgebieten unterschiedlicher Kategorien ausgewiesen ist, seien die verantwortlichen Projektträger und Behörden finanziell und personell nicht ausreichend ausgestattet, um ein effizientes Management und Monitoring dieser Flächen zu erreichen. Neben den quantitativen Flächenbeiträgen seien bessere qualitative Standards, die den Arten- und Naturschutz zum Ziel haben, notwendig.

Auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse der funktionellen Biodiversitätsforschung leiten sie aus ihrer Analyse Empfehlungen für die Praxis des Flächennaturschutzes ab.

Kriterien für die Ausweisung zusätzlicher Flächen

Als Kernproblematik werden die Kleinteiligkeit und Vereinzelung der Schutzgebietskulisse, die mangelnde Funktion der Schutzgebiete als Biotopverbund und die unzureichende Pflege sowie das Monitoring der Schutzgebiete angesehen. Bisherige Schutzgebiete seien in der Regel zu klein, weshalb negative Effekte der Umgebung (Bsp.: Pestizid- und Nährstoffeinträge) besonders stark bis in Schutzgebiete wirken können. Wo es die Umgebung und Rahmenbedingungen zulassen, wird die Vergrößerung durch Pufferzonen und die Verbindung bestehender kleiner Schutzgebiete empfohlen: „Es sollten Prioritäten dort gesetzt werden, wo besonders wertvolle oder gefährdete Biotope und Ökosysteme bekannt sind oder entwickelt werden sollen, und nicht dort, wo Flächen ohne Konflikte auszuweisen sind“. Bei Neuausweisungen sollten unter anderem die künftige Entwicklung des lokalen Klimas und die Entwicklungsfähigkeit von Ökosystemen berücksichtigt werden. Unter diesem Aspekt raten die Autoren zu einer Neuorientierung des Schutzgebietsnetzes als Biotopverbundsysteme. Die Autoren betonen, dass bei neuen Projekten auf Multifunktionalität zu achten und Synergieeffekte zu nutzen seien. Diese ließen sich in eine gute Kommunikation der Projekte einbinden und würden die Akzeptanz erhöhen. Doch ohne eine Verbesserung der Ausstattung von Naturschutzbehörden und des Monitorings könnten Erfolge schlechter erzielt und nachgewiesen werden.

Quelle:
Beierkuhnlein, C., Stahlmann, R., Geist, J. (2023): Erfüllung der Ziele im Flächennaturschutz bis zum Jahr 2030 – Kriterien und Prioritäten. Naturschutz und Landschaftsplanung 55 (7), 16-21.

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