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Veröffentlicht
21.08.2023
Schlagworte
  • Abschaltungen
  • Antikollisionssysteme
  • Windenergie

Frage

Welches ist der Mindestabstand zwischen Windenergieanlage und Brutplatz, ab dem Antikollisionssysteme als Schutz- bzw. Minderungsmaßnahmen eingesetzt werden können?

!Antwort

Einsatz von Antikollisionssystemen bei geringer Distanz zwischen Brutplatz und Windenergieanlage

Die grundlegenden Anforderungen an die fachliche Eignung und Wirksamkeit von Antikollisionssystemen (AKS) sind in der KNE-Checkliste (KNE 2021) dargelegt.

Je geringer die Distanz zwischen Brutplatz und Windenergieanlage (WEA), desto zuverlässiger muss das AKS eine rechtzeitige Abschaltung herbeiführen. Um dies zu gewährleisten, muss die Erfassungsreichweite mindestens 500 Meter betragen. Die Erfassungsrate sollte auf diese Distanz bei ≧ 90 Prozent liegen. Darüber hinaus muss der zu überwachende Bereich sehr gut einsehbar sein, was durch ein Standortgutachten nachzuweisen ist. Hier wäre ebenfalls ein Wert von 90 Prozent Abdeckungsrate anzusetzen.

Um die rechtzeitige Abschaltung zu gewährleisten, spielt die Bestimmung der kritischen Reaktionsdistanz eine zentrale Rolle (vgl. KNE 2019; Bruns et al. 2021). Sie markiert den räumlichen Abstand, ab dem ein Abschaltsignal an die WEA übermittelt werden muss, damit eine deutliche Verlangsamung der Blattspitzengeschwindigkeit (BSG) eingetreten ist („Trudelmodus“), wenn der Vogel im Rotorbereich (Gefahrenbereich) ankommt. Es wird davon ausgegangen, dass von einem verlangsamten Rotorblatt mit einer BSG unter 50 Kilometer pro Stunde kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko mehr ausgeht. Die kritische Reaktionsdistanz wird mit Hilfe einer Formel (vgl. KNE 2019, S. 16) berechnet.[1]

Zentrale Parameter sind

  • die mittlere artspezifische Fluggeschwindigkeit, alternativ auch der Medianwert der Fluggeschwindigkeit aus verschiedenen Flugmodi (aktiver Flug, Gleitflug),
  • die Trudelzeit (benötigte Zeitspanne, bis von der Rotorbewegung kein erhöhtes Schlagrisiko mehr ausgeht) und
  • die Rotorblattlänge (halber Rotorradius).

Die Vermeidungswirksamkeit wird als gegeben angesehen, wenn ein Abschaltsignal ausgelöst wird, sobald eine kollisionsgefährdete Art die entsprechend der o. a. Formel ermittelte Distanz unterschreitet („rechtzeitige Reaktion“).

Wenn für den Rotmilan eine mittlere Geschwindigkeit von 9,2 Metern pro Sekunde zugrunde gelegt wird, liegt die kritische Reaktionsdistanz bei 30 Sekunden Trudelzeit (plus Rotorblattlänge von 80 Metern) bei 356 Metern liegen. Bei sehr großen Rotordurchmessern kann die Trudelzeit höher liegen. Bei 40 Sekunden würde sie sich auf 448 Meter vergrößern.

Beim Seeadler könnte man eine Fluggeschwindigkeit Wert von 12,2 Metern pro Sekunde annehmen (Medianwert nach ARSU et al., in Vorb.). Bei ansonsten gleichbleibenden Annahmen (30 Sekunden, 80 Meter) käme man auf eine kritische Reaktionsdistanz von rund 450 Metern. Bei 40 Sekunden Trudelzeit betrüge die Distanz knapp 570 Meter.

Ergänzend zu den beschriebenen Parametern möchten wir darauf hinweisen, dass das eingesetzte Detektionssystem eine hohe Genauigkeit bei der Ermittlung der Entfernung bzw. Positionsbestimmung im Raum aufweisen sollte. Der Messfehler sollte nicht mehr als drei bis fünf Meter horizontal und vertikal betragen.

Vorgaben zur Anwendung von Schutzmaßnahmen

Selbst wenn es technisch möglich wäre, AKS auch auf kurze Distanz einzusetzen, sind auch die rechtlichen Verpflichtungen und Rahmenbedingungen für Schutzmaßnahmen zu bedenken.

In Zulassungsverfahren außerhalb ausgewiesener Windenergiegebiete (WEG) läge die Windenergieanlage im Falle einer Distanz eines Brutplatzes von unter 500 Metern im sogenannten Nahbereich. Nach § 45b Absatz 2 Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) sind im Nahbereich „in der Regel“ keine Schutzmaßnahmen zur Senkung des signifikant erhöhten Tötungsrisikos vorgesehen. Vielmehr ist die WEA im Ausnahmeverfahren zu genehmigen.

Im Ausnahmeverfahren (vgl. nach § 45b Absatz 9 BNatSchG) können Maßnahmen zur Senkung von Kollisionsrisiken festgelegt werden, sie sollen einen so genannten Basisschutz gewährleisten (vgl. KNE 2023, S. 16). Die finanziellen Spielräume für AKS sind angesichts der hier geltenden Zumutbarkeitsschwellen von 4 und 6 Prozent des Jahresenergieertrags allerdings gering. Sie verkleinern den Spielraum für investive Maßnahmen zur Minderung von Vogelkollisionen, insbesondere an ertragsschwachen Standorten. Eine freiwillige Überschreitung der Zumutbarkeitsschwellen ist aber möglich.

In Zulassungsverfahren für WEA in Windenergiegebieten ist § 6 Windenergieflächenbereitstellungsgesetz (WindBG) anzuwenden.  Die Vollzugsempfehlungen zur modifizierten Artenschutz­prüfung (BMWK u. BMUV 2023) besagen hier, dass auch im Nahbereich Schutzmaßnahmen nach Anlage 1 Abschnitt 2 BNatSchG angeordnet werden können (ebd., S. 12). Allerdings stellt sich auch hier die Frage nach der Zumutbarkeit der Schutzmaßnahmen. Wenngleich die Zumutbarkeitsschwellen hier mit 6,3 bzw. 8,3 Prozent etwas höher sind als in der Regelgenehmigung nach § 45b BNatSchG, setzen sie aufwändigen Maßnahmen Grenzen.


 [1] Fluggeschwindigkeit [m/s], mit der sich ein Vogel der Anlage nähert (vArt), multipliziert mit der Zeit [Sek], die für den Übergang in den Trudelmodus benötigt wird (tTrudel) zuzüglich der Rotorblattläge [m]: vArt x tTrudel + Rotorblattlänge.

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Literaturverzeichnis

ARSU, OekoFor, VSW Sempach (in Vorb.): Durchführung von Leistungsnachweisen für Detektionssysteme zur Verminderung von Vogelkollisionen an Windenergieanlagen in Brandenburg. Kamera- und Radar-Datenauswertung und gutachterliche Einordnung. Im Auftrag der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNEE). Veröffentlichung in Vorbereitung.


BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, BMUV – Bundesministerium für Umwelt Naturschutz nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (2023): Vollzugsempfehlung zu § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz. Berlin. 18 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 21.08.2023)


Bruns, E., Schuster, E., Streiffeler, J. (2021): Anforderungen an technische Überwachungs- und Abschaltsysteme an Windenergieanlagen. BfN-Skripten 610. BfN – Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.). 57 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 21.08.2023).


KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2019): Anforderungsprofil „Anforderungen an eine fachlich valide Erprobung von technischen Systemen zur bedarfsgerechten Betriebsregulierung von Windenergieanlagen“. 33 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 21.08.2023).


KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2021): Anforderungen an Antikollisionssysteme zum Schutz von Vögeln an Windenergieanlagen – Checkliste für eine qualifizierte Entscheidung über die Anwendbarkeit von Antikollisionssystemen. 14 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 21.08.2023).


KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2023): Die Vorschriften zur Windenergie an Land im Bundesnaturschutzgesetz 2022 – Überblick über die neuen naturschutzrechtlichen Regelungen für die Genehmigung von Windenergieanlagen an Land mit Fokus auf die Signifikanz- und Ausnahmeprüfung. Berlin. 33 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 21.08.2023).


Reichenbach, M., Greule, S., Steinkamp, T., Reers, H., Akili, J., Roselius, L. (2023): Fachgutachten zur Ermittlung des Flugverhaltens des Rotmilans im Windparkbereich unter Einsatz von Detektionssystemen in Hessen. ARSU – Arbeitsgruppe für regionale Struktur- und Umweltforschung GmbH. Im Auftrag der Stiftung Klimaneutralität., Oldenburg. 179 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 21.08.2023).