Frage
Wie ist der aktuelle Kenntnisstand und die Studienlage zum Meideverhalten des Goldregenpfeifers an Windenergieanlagen während der Zug- und Rastzeit und wo und welche Hinweise gibt es zu wirksamen Vermeidungsmaßnahmen?
Vollständige Antwort
Kenntnisstand zum Meideverhalten des Goldregenpfeifers an Windenergieanlagen während der Zug- und Rastzeit
Zum Meideverhalten des Goldregenpfeifers bzw. zur Scheuchwirkung von Windenergieanlagen (WEA) während der Zug- und Rastzeit liegt ähnlich wie zu den Auswirkungen auf andere Rastvogelarten überwiegend ältere Literatur vor.
Eine erste zentrale Studie, die sich mit den Auswirkungen von WEA auf Vögel beschäftigte, darunter auch mit der Scheuchwirkung bzw. dem Meideverhalten von Rastvögeln, stammt von Hötker et al. (2005). Diese nahmen eine internationale Metaanalyse der Literatur vor. Hiernach zeigten rastende Goldregenpfeifer in 72 Prozent der ausgewerteten Studien Meideabstände mit Mindestentfernungen zwischen 50 bis 850 Metern (Median = 135 Meter). (ebd. S. 20)
Wenngleich die Literaturstellen mit negativen Effekten (n=21) signifikant überwogen, gab es zumindest acht Literaturstellen, nach denen keine negativen Effekte dokumentiert waren (ebd., S. 18).
In einer jüngeren Veröffentlichung von Hötker (2017), in dem eine Aktualisierung der Metaanalyse vorgenommen wurde, nennt dieser für die Zeit außerhalb der Brutzeit für den Goldregenpfeifer 23 Studien, die eine Meidung ergaben, gegenüber acht Studien, die für eine Attraktionswirkung von WEA sprachen (ebd., S. 126).
Der Meideabstand wurde hier durchschnittlich mit 202 Metern mit einem Median von 150 Metern (n=24 Studien) angegeben (ebd., S.139). Bei besonders aussagekräftigen Studien mit dem BACI-Design (Before-After-Control-Impact) bzw. dem Impact-Gradient-Design war das Verhältnis (Meidung zu Attraktion) ausgewogener, nämlich 6 zu 4 Studien (ebd., S. 126).
Das Dokument „Informationen über Einflüsse der Windenergienutzung auf Vögel“ des LfU Brandenburg (Stand von Mitte 2022) führt über die genannten Studien hinaus einige weitere Quellen für den Goldregenpfeifer auf, die sich auf das Meideverhalten beziehen. Zum Teil sind dies jedoch unveröffentlichte Einzelfallstudien oder Studienarbeiten oder sie beziehen sich auf die Brutzeit.
In einem beim Runden Tisch Artenschutz der FA Wind vorgestellten Fallbeispiel wurden umfangreiche Ersatzrastflächen für den Goldregenpfeifer als vorsorgliche, populationsstützende Maßnahmen sowie ein begleitendes Monitoring umgesetzt. In den drei Kartierjahren während des Baus und des Betriebs ergab sich keine Meidung der WEA-Umgebung bis 1.000 Meter Abstand. Die eingerichteten Maßnahmenflächen wurden jedoch zusätzlich als Rastflächen angenommen. (FA Wind 2018a, S. 1 sowie ergänzend FA Wind 2018b).
Im Forschungsprojekt PROGRESS wurde bzgl. des Goldregenpfeifers ermittelt, dass die Art nicht zu denen gehörte, die Windparks stärker mieden oder ein ausgeprägtes Ausweichverhalten zeigen. (Grünkorn et al. 2016, S. 234). Vielmehr wurde hier festgestellt, dass sich Watvögel, zu denen der Goldregenpfeifer gehört, wesentlich häufiger in Windparks aufhalten als andere Rastvogelarten (Gänse und Kraniche). In dem Vorhaben zählte der Goldregenpfeifer zudem zu den Arten mit den höchsten Anteilen an Flugaktivität in Rotorhöhe. (ebd., S. 130) Folglich gehörte er auch zu den Arten, die überproportional häufig als Kollisionsopfer gefunden wurden.
Wenngleich die Ergebnisse aufgrund der Lage der im Projekt untersuchten Standorte im norddeutschen Tiefland nicht einfach auf andere Regionen Deutschlands übertragbar sind, zeigt dies in Zusammenschau mit den oben genannten Studien, wie unterschiedlich die Betroffenheit dieser Art (und auch anderer Rastvogelarten) sein kann.
Die Art und Umfang der Betroffenheit von Rastvögeln dürfte somit in hohem Maße von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängen (vgl. MUKE BW, LUBW 2021, S. 87). Betroffenheiten sollten daher auch einzelfallspezifisch ermittelt werden, um gegebenenfalls wirksame Vermeidungsmaßnahmen ableiten und festlegen zu können.
Hinweise auf wirksame Vermeidungsmaßnahmen
Neben dem oben genannten Fallbeispiel aus Brandenburg können der Artenschutzleitfaden bzw. die Internetseiten zu geschützten Arten Nordrhein-Westfalens eine Hilfestellung für die Auswahl wirksamer Vermeidungsmaßnahmen sein. In Nordrhein-Westfalen gilt der Goldregenpfeifer als windenergieempfindliche Rastvogelart, bei der durch das Meideverhalten „das Beschädigungs‑ bzw. Zerstörungsverbot von Fortpflanzungs- und Ruhestätten grundsätzlich erfüllt sein kann“ (MULNV NW, LANUV NW 2017). Dementsprechend sind Maßnahmen hier im Hinblick auf den vorgezogenen Ausgleich von Lebensstättenverlusten (CEF-Maßnahmen) ausgerichtet.
Für den Goldregenpfeifer finden sich folgende als wirksam geltende Maßnahmen, jeweils mit der Einstufung „hohe Eignung als vorgezogene Ausgleichsmaßnahme“, (ebd. S. 56):
- Anlage bzw. Entwicklung von Extensivgrünland auf feuchten und nassen Standorten/Wiedervernässung,
- Anlage von Flachgewässern/Blänken,
- Anlage, Optimierung und naturnahe Gestaltung von Gewässern,
- Extensivierung von Ackerflächen.
Detaillierte Beschreibungen der Maßnahmen, einschließlich der fachlichen Anforderungen an Maßnahmenstandorte, an Qualität und Umfang von Maßnahmen, etwaigem Pflegeaufwand, zur zeitlichen Dauer bis zur Wirksamkeit sowie zur Prognosesicherheit und einem etwaigem Risikomanagement finden sich zudem auf den Internetseiten des LANUV NW zu den „Geschützte[n] Arten in Nordrhein-Westfalen“. Diese können zur Vertiefung herangezogen werden.
Quellen
FA Wind − Fachagentur Windenergie an Land e.V. (2018a): Dokumentation des 5. Runden Tisches - Vermeidungsmaßnahmen Kassel, 13. Dezember 2018. Berlin. 9 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 03.04.2023).
FA Wind − Fachagentur Windenergie an Land e.V. (2018b): Beispiel 12, Goldregenpfeifer (Pluvialis apricaria) und Kiebitz (Vanellus vanellus), Landkreis Uckermark, Brandenburg - Darstellung und Diskussion der Monitoringergebnisse aus den Jahren 2015, 2016 und 2017 im Rahmen des 5. Runden Tisches Vermeidungsmaßna. Berlin. 6 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 03.04.2023).
Grünkorn, T., Blew, J., Coppack, T., Krüger, O., Nehls, G., Potiek, A., Reichenbach, M., von Rönn, J., Timmermann, H., Weitekamp, S. (2016): Ermittlung der Kollisionsraten von (Greif)Vögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen (PROGRESS). Schlussbericht. 332 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 03.04.2023).
Hötker, H., Thomsen, K.-M., Köster, H. (2005): Auswirkungen regenerativer Energiegewinnung auf die biologische Vielfalt am Beispiel der Vögel und der Fledermäuse. BfN-Skripten 142. BfN – Bundesamt für Naturschutz (Hrsg.). Bonn. 87 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 03.04.2023).
Hötker, H. (2017): Birds: displacement. In: Perrow M.R. (2017): Wildlife and Wind Farms, Conflicts and Solution, Vol. 1 Onshore: Potencial Effects. S. 119-154.
LfU Brandenburg - Landesamt für Umwelt Brandenburg (2022): Informationen über Einflüsse der Windenergienutzung auf Vögel. Stand 17. Juni 2022. Staatliche Vogelschutzwarte Brandenburg (Hrsg.). Nennhausen. 150 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 03.04.2023).
MUKE BW − Ministerium für Umwelt Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, LUBW − Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (2021): Hinweise zur Erfassung und Bewertung von Vogelvorkommen bei der Genehmigung von Windenergieanlagen. Stuttgart, Karlsruhe. 195 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 03.04.2023).
MULNV NW, LANUV NW (2017): Leitfaden „Umsetzung des Arten- und Habitatschutzes bei der Planung und Genehmigung von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen". Link zum Dokument (letzter Zugriff 03.04.2023).