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Veröffentlicht
6.05.2024
Schlagworte
  • Abschaltungen
  • Antikollisionssysteme
  • Fledermäuse
  • Vögel
  • Windenergie

Frage

In § 45b und in Anlage 2 BNatSchG sind Prozentwerte für zumutbare Ertragsverluste festgelegt, die durch Abschaltungen von Windenergieanlagen entstehen, zum Beispiel wenn ein Antikollisionssystem als Schutzmaßnahme für Vögel eingesetzt wird. Welche Funktion haben diese Werte, und lässt sich daraus – im Sinne einer Deckelung – die Möglichkeit ableiten, abschaltungsbezogene Schutzmaßnahmen in der Betriebsphase unterjährig außer Kraft zu setzen? Und was gilt diesbezüglich bei Genehmigungen in Windenergiegebieten und damit im Anwendungsbereich von § 6 WindBG?

!Antwort

Mit der vierten Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) wurde der § 45b neu eingefügt. Die dazugehörige Anlage 2 BNatSchG enthält weitergehende Regelungen zur Ermittlung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit von Schutzmaßnahmen bei Genehmigung und Betrieb von Windenergieanlagen (WEA). Sie betreffen unter anderem den jährlich hinzunehmenden prozentualen Ertragsverlust durch Abschaltungen, wenn die Signifikanzprüfung für kollisionsgefährdete Brutvögel nach § 45b BNatSchG erfolgt (KNE 2024a, S. 8). Gemäß § 45b Absatz 6 Satz 2 BNatSchG liegt dieser an besonders windhöffigen Standorten mit einem Standortgütefaktor von ≥ 90 Prozent bei 8 Prozent, an allen anderen Standorten bei 6 Prozent. Die Berechnung der Zumutbarkeit erfolgt vorhabenspezifisch anhand dieser Zumutbarkeitsschwellen in mehreren Schritten und mit komplexen mathematischen Formeln gemäß Anlage 2 BNatSchG (vgl. KNE 2024a, S. 16). Bei den Begriffsbestimmungen unter Nummer 1 der Anlage 2 findet sich für Antikollisionssysteme (AKS) ein pauschaler Prozentwert von 3 Prozent für Ertragsverluste, für Fledermäuse von 2,5 Prozent.[1] Diese Werte sind bei der Zumutbarkeitsberechnung von Schutzmaßnahmen anzusetzen. Sie gelten auch bei entsprechenden Berechnungen im Anwendungsbereich von § 6 WindBG.

1. Welche Rolle spielen die Prozentwerte für die Zumutbarkeit bzw. Verhältnismäßigkeit von Ertragsverlusten?

Soll im Zuge der Genehmigung von Windenergieanlagen mit Signifikanzprüfung nach § 45b BNatSchG ein AKS als Schutzmaßnahme zum Einsatz kommen, werden bei der Berechnung der Zumutbarkeit gemäß Anlage 2 Nr. 1 (AKSa) 3 Prozent Ertragsverluste durch die Abschaltungen angenommen.[2]

Dieser Wert dient zusammen mit den Kosten für das AKS und weiteren Werten für weitere Schutzmaßnahmen der pauschalierten Prognose der prozentualen und monetären Zumutbarkeit von Maßnahmen anhand der eingangs genannten Zumutbarkeitsschwellen. Bei der Signifikanzprüfung nach § 45b BNatSchG ist die Zumutbarkeit entscheidend dafür, ob eine Regelgenehmigung erfolgen kann oder eine Prüfung bzw. Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme erforderlich wird (vgl. KNE 2023, S. 16).

Auch der Umfang der Schutzmaßnahmen ist davon abhängig, ob eine Regelgenehmigung oder eine Genehmigung mit Ausnahme erfolgt.[3] Sind die geplanten Schutzmaßnahmen prozentual und monetär zumutbar, kann die WEA mit Anordnung dieser Maßnahmen genehmigt werden. Sind die Maßnahmen dagegen nicht zumutbar im Sinne der Zumutbarkeitsschwellen, ist die Erteilung einer Ausnahme von den artenschutzrechtlichen Verboten zu prüfen.[4] Bei Erteilung einer Ausnahme sind Maßnahmen im Umfang eines um jeweils 2 Prozent verminderten Basisschutzes möglich sowie dann ergänzend populationsstützende Maßnahmen bzw. Zahlungen in die nationalen Artenhilfsprogramme erforderlich (KNE 2023, S. 17 f. sowie KNE 2024b).

Wird eine Genehmigung einer Windenergieanlage im Anwendungsbereich des § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz (WindBG) beantragt, wird ebenfalls eine Zumutbarkeitsberechnung vorgenommen. Hiermit wird die „Verhältnismäßigkeit“ der (hier Minderungsmaßnahmen genannten) Maßnahmen geprüft, wobei an besonders windhöffigen Standorten 8,3 Prozent als Zumutbarkeitsschwelle angesetzt wird, an allen anderen Standorten 6,3 Prozent (BMWK und BMUV 2023, S. 14). Wird der Wert überschritten, werden nur Maßnahmen bis zur Grenze der Zumutbarkeitsschwelle angeordnet. Ein Übergang in die Ausnahme erfolgt nicht. Stattdessen priorisiert die zuständige Behörde die Maßnahmen anhand fachlicher Kriterien (ebd.).

Die Regelung des § 6 Absatz 1 Satz 5 und 6 WindBG eröffnet – anders als nach § 45b BNatSchG – rechtlich auch die Möglichkeit, dass eine Abschaltmaßnahme für Vögel in reduziertem Umfang angeordnet wird. Bleiben artenschutzrechtliche Konflikte dadurch unbewältigt, wird anstelle der über die Zumutbarkeit hinausgehenden weiteren Maßnahmen bzw. ergänzend zur Anordnung der reduzierten Maßnahme(n) jedoch eine ergänzende Zahlung von 450 Euro pro Megawatt Leistung und Jahr in die Artenhilfsprogramme fällig (ebd., S. 14 sowie KNE 2024b, S. 3f.).[3]

2. Wie hoch sind die realen Abschaltverluste im Betrieb und welche Auswirkung hat dies auf den Betrieb des AKS?

Im Betrieb können die tatsächlichen Abschaltverluste von den pauschalen Prognosewerten mehr oder weniger stark abweichen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass der (theoretisch)

erzielbare Jahresertrag standortspezifisch ist und aufgrund des unterschiedlichen Winddargebotes von Standort zu Standort, aber auch von Jahr zu Jahr schwankt. Während eines laufenden Jahres ist nicht genau bestimmbar, welche Gesamt-Strommenge bzw. welcher Gesamtertrag an einem Standort erzielt werden wird (vgl. KNE 2024a, S. 36 f.). Folglich ist eine unterjährige Berechnung realer Verluste durch Abschaltmaßnahmen schwierig.

Bei AKS hängt die Zahl der Abschaltungen – und damit die Höhe der Ertragsverluste – von der tatsächlichen Flugaktivität bzw. der Zahl „gefährlicher“ Flüge im artspezifischen Erfassungsbereich ab. Die Flugaktivität über das Jahr hängt wiederum von der Anzahl der Brutpaare, der Lage von Brutplätzen zur WEA und zu attraktiven Nahrungshabitaten (vgl. z. B. Heuck et al. 2019) und letztlich auch von der Witterung ab. Zudem schalten AKS auch für andere Individuen der Art ab, beispielsweise solche, die in weiterer Entfernung brüten und damit nur Nahrungsgäste sind. AKS, die die Abschaltung nicht anhand einer artspezifischen Identifikation, sondern allein anhand von Größenklassen von Vögeln steuern, schalten ebenfalls häufiger ab, sind aber in der Regel preiswerter in der Anschaffung.

In Genehmigungsverfahren mit Signifikanzprüfung nach § 45b BNatSchG muss der Anwender von AKS mit den bestehenden Prognoseunsicherheiten bei den Abschaltverlusten umgehen – etwa indem er Worst-case-Betrachtungen anstellt. Geht der Antragsteller davon aus, dass der Wert von 3 Prozent Ertragsverlust im Betrieb überschritten wird und damit womöglich auch die Zumutbarkeitsschwellen von 6 bzw. 8 Prozent, muss er entweder von vorneherein eine andere wirksame Schutzmaßnahme wählen oder er nimmt die Überschreitung in Kauf.

In Genehmigungsverfahren im Anwendungsbereich von § 6 WindBG besteht zum einen ebenfalls die Möglichkeit eine etwaige Überschreitung in Kauf zu nehmen. Zum anderen kann der Einsatz des AKS aber auch eingeschränkt angeordnet werden, falls die Minderungsmaßnahmen insgesamt die Zumutbarkeitsschwellen von 6,3 bzw. 8,3 Prozent überschreiten.[5] Die Einschränkung bzw. Reduktion erfolgt dann in dem Umfang, dass die Schwellen nicht überschritten werden. Dies kann zum Beispiel durch die Eingrenzung des Zeitraums des Betriebs auf besonders sensible Phasen der Brutzeit (z. B. die der Jungenaufzucht) oder auch durch eine tageszeitliche Einschränkung auf die Stunden mit der statistisch höchsten Flugaktivität erfolgen.

Eine weitere Möglichkeit wäre eine Kontingentierung, die gewährleisten soll, dass sensible Brutzeitphasen – auch später im Jahr – noch abgedeckt sind. Damit würde vermieden, dass bei häufigen Abschaltvorgängen im zeitigen Frühjahr durch das Überschreiten der Zumutbarkeitsschwelle ein AKS für den Rest der Aktivitätszeit außer Betrieb gesetzt wird und für die späteren im Jahr liegenden sensiblen Phasen der Brutzeit keine oder nur noch eine stark eingeschränkte Schutzwirkung gewährleistet ist. Die jeweiligen Schutzzeiträume und/oder -kontingente müssten artspezifisch und ggf. auch einzelfallspezifisch definiert werden, wobei das Ziel aus fachlicher Sicht sein sollte, möglichst nah an die Zumutbarkeitsschwellen heranzukommen.

Bereits in der Genehmigung müssen die Berechnungsgrundlagen und die Methodik für die Ermittlung der Abschaltverluste im Jahresverlauf festgelegt werden. Darüber hinaus müssen im Genehmigungsbescheid – je nach Art der Einschränkung der Maßnahme – die ergänzende Zahlungspflicht in die Artenhilfsprogramme und auch etwaige Meldepflichten des Betreibers an die Behörden in Hinblick auf die Einschränkung bzw. Kontingentierung angeordnet werden.

3. Reduzierung des Maßnahmenumfangs – auch für andere Schutzmaßnahmen denkbar?

Bei Genehmigungen von WEA im Anwendungsbereich von § 6 WindBG müssten analog auch andere Schutzmaßnahmen in ihrem Umfang reduziert werden können, sofern dies Abschaltungen für Vögel sind und ergänzende Zahlungen in die Artenhilfsprogramme erfolgen.

Für die Bewirtschaftungsabschaltung könnte dies zum Beispiel bedeuten, dass man im ersten Schritt nach Anlage 2 BNatSchG ermittelt, auf wie vielen Flurstücken im Umkreis von 200 Metern bei Bewirtschaftung abzuschalten ist. In Abhängigkeit von den Ertragsverlusten würde man dann im Jahresverlauf entscheiden, ob die Abschaltungen für Bewirtschaftungsmaßnahmen im Herbst noch zumutbar sind bzw. nur noch auf einzelnen Flurstücken oder nicht. Auch hier wäre eine Kontingentierung denkbar. Allerdings fehlen auch für diesen Maßnahmentyp bislang sowohl fachliche als auch vollzugssichernde Leitplanken.

Neben der Bewirtschaftungsabschaltung gilt dies analog auch für phänologische Abschaltungen und Abschaltungen zum Fledermausschutz.

4. Fazit

Eine Beauflagung von AKS, deren Betriebszeiten sich an den tatsächlichen Ertragsverlusten orientiert („kontingentierte Abschaltung“), lässt sich aus dem Gesetzestext des BNatSchG nicht herleiten, wohl aber aus § 6 WindBG.

Dass Betreiber die Abschaltungen in der Betriebsphase im Verlaufe eines Jahres aussetzen können, wenn die bei der Zumutbarkeitsberechnung angesetzten (Pauschal-)Werte für Ertragsverluste durch Abschaltungen erreicht sind, muss für Genehmigungen mit Signifikanzprüfung nach § 45b BNatSchG verneint werden. Sämtliche in Anlage 2 Nr. 1 zu § 45b BNatSchG festgelegten Faktoren sowie die in § 45b BNatSchG und in der Anlage festgelegten Zumutbarkeitsschwellen dienen der pauschalen Bestimmung der Zumutbarkeit bzw. Verhältnismäßigkeit im Genehmigungsverfahren und nicht der tatbestandlichen, fortlaufenden Ermittlung von Ertragsverlusten.[6] Sie sind nicht als „Deckel“ des realen Maßnahmenumfangs in der Betriebsphase zu verstehen, nach dem sich der Maßnahmenumfang ausrichtet. Entsprechend berechtigen die im BNatSchG genannten Prozentwerte für die Zumutbarkeit den Betreiber nicht, Antikollisionssysteme oder andere Abschaltmaßnahmen unterjährig zeitlich einzuschränken oder auszusetzen (vgl. KNE 2024a, S. 36).

Im Rahmen von Genehmigungen in Windenergiegebieten im Anwendungsbereich von § 6 WindBG ist der Einsatz von AKS mit auf das Zumutbarkeitsmaß reduzierten Betriebszeiten möglich, wenn in diesem Fall ergänzende Zahlungen in Höhe von 450 Euro pro Megawatt Nennleistung und Jahr in die Artenhilfsprogramme geleistet werden (ebd. sowie KNE 2024b, S. 3f.). Damit werden de facto die maximal möglichen Ertragseinbußen für die Vorhabenträger bzw. Betreiber gedeckelt.


[1] An die Stelle des Pauschalwertes für Fledermausabschaltungen kann laut Begriffsbestimmungen auch ein gutachterlich bestimmter Wert treten.

[2] Kommen Abschaltungen zum Schutz von Fledermäusen zum Einsatz, so werden hierfür 2,5 Prozent Ertragsverluste in die Zumutbarkeitsberechnung eingestellt, bzw. ein gutachterlich bestimmter Wert, zum Beispiel von benachbarten und bereits im Betrieb befindlichen WEA.

[3] Im Falle der Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahme gilt ein um 2 Prozent verringerter Basisschutz (vgl. KNE 2023, S. 17 f.)

[4] Sowohl bei Genehmigungsverfahren mit Signifikanzprüfung nach § 45 BNatSchG als auch nach § 6 WindBG können auf Verlangen des Vorhabenträgers bzw. Antragstellers – also freiwillig – auch als unzumutbar geltende Schutz- bzw. Minderungsmaßnahmen angeordnet werden. Je nach Prüfregime kann damit die Prüfung der Ausnahme (nur bei Vorhaben innerhalb von Windenergiegebieten) und die Zahlung in Artenhilfsprogramme umgangen werden.

[5] Gemäß BMWK und BMUV (2023, S. 14) soll die Bewertung anhand einer Gesamt-Zumutbarkeitsschwelle erfolgen.

[6] Eine Ausnahme stellt die rückwirkende Berechnung der Zahlungen in die Artenhilfsprogramme nach § 45d BNatSchG anhand der Leistung und der realen Vollbenutzungsstunden der WEA dar. Hierbei gehen auch die Ertragsverluste des Basisschutzes mit ein.

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Literaturverzeichnis

BMWK – Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, BMUV – Bundesministerium für Umwelt Naturschutz nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz (2023): Vollzugsempfehlung zu § 6 Windenergieflächenbedarfsgesetz. Berlin. 18 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 06.05.2024).

Heuck, C., Sommerhage, M., Stelbrink, P., Höfs, C., Geisler, K., Gelpke, C., Koschkar, S. (2019): Untersuchung des Flugverhaltens von Rotmilanen in Abhängigkeit von Witterung und Landnutzung unter besonderer Berücksichtigung vorhandener Windenergieanlagen im Vogelschutzgebiet Vogelsberg. Abschlussbericht. Im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Wiesbaden. 116 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 06.05.2024).

KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2024a): Einsatz von Antikollisionssystemen unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Zumutbarkeit. Aktualisierte und ergänzte Fassung vom 06.05.2024. Berlin 37 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff 06.05.2024).

KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2024b): Anfrage Nr. 357 zu Zahlungen in die Nationalen Artenhilfsprogramme nach WindBG und BNatSchG. Antwort vom 26. März 2024. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 06.05.2024).

KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2023): Die Vorschriften zur Windenergie an Land im Bundesnaturschutzgesetz 2022 – Überblick über die neuen naturschutzrechtlichen Regelungen für die Genehmigung von Windenergieanlagen an Land mit Fokus auf die Signifikanz- und Ausnahmeprüfung. Berlin. 33 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 06.05.2024).