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Veröffentlicht
11.10.2022
Schlagworte
  • Abschaltungen
  • Artenschutz
  • Energiekrise
  • Windenergie

Frage

Welche Regelungen trifft der neue § 30 des Energiesicherungsgesetz und wie sind diese in Hinblick auf den Artenschutz an Windenergieanlagen zu bewerten?

!Antwort

Was ist die Ausgangssituation?

Der Gesetzgeber hat im Juli 2022 –  für den Fall, dass der Gasvorrat trotz aller Vorsorge nicht ausreicht und eine Verschlechterung der Energieversorgung drohen sollte – den § 30 des Energiesicherungsgesetzes (EnSiG) geschaffen.[1] Dieser Paragraf sieht bestimmte Mechanismen vor, die im Falle einer Energieknappheit unter anderem Windenergieanlagen (WEA) von einschränkenden Betriebsregeln befreien können. Im Krisenfall soll die Energieversorgung damit kurzfristig gestärkt werden.

Welche Möglichkeiten und Voraussetzungen bietet der § 30 des Energiesicherungsgesetzes?

Kurz zusammengefasst bietet der § 30 EnSiG die Möglichkeit, eine Rechtsverordnung zu erlassen, aufgrund derer befristete Abweichungen oder Ausnahmen von den jeweiligen Betriebsmaßgaben zugelassen werden. Hiervon können unter anderem die Regeln der Technischen Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft), der Technischen Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) und des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) umfasst sein. Um eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen zu können, muss eine der im Gesetz aufgezählten Notsituationen eintreten oder einzutreten drohen. Dies wäre eine unmittelbare Gefährdung oder Störung der Energieversorgung und insbesondere ein Fall der drohenden Knappheit von Kohle, Erdgas und Erdöl (§ 30 Abs. 1 S. 1 EnSiG). Geregelt ist auch, dass es sich hierbei um die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie handeln muss, welche sich durch marktgerechte Maßnahmen nicht, nicht rechtzeitig oder nur mit unverhältnismäßigen Mitteln sichern lässt. Bei diesem lebenswichtigen Bedarf handelt es sich auch um private Belange, das ergibt sich aus dem letzten Satz von § 1 Abs. 1 EnSiG: „Als lebenswichtig gilt auch der Bedarf zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben sowie europäischer und internationaler Verpflichtungen.“ § 30 Abs. 2 EnSiG spezifiziert dann, wann eine drohende Knappheit „insbesondere“ anzunehmen ist.[2]

Tritt eine solche Situation ein, können Auflagen zur Einhaltung der TA Luft, der TA Lärm und Regelungen zur Einhaltung des besonderen Artenschutzrechts nach dem Bundesnaturschutzgesetz insbesondere für WEA (befristet) außer Kraft gesetzt werden. Für den Bereich des besonderen Artenschutzrechts kann dies konkret dazu führen, dass der WEA-Betreiber Abschaltzeiten, die er als behördliche Auflage erhalten hat, verringern oder sogar gänzlich aussetzen darf. Bei der Genehmigung von WEA werden häufig Abschaltauflagen verfügt, um die Einhaltung des besonderen Artenschutzrechts zu garantieren und insbesondere Verstöße gegen das Tötungsverbot zu verhindern. Diese Abschaltauflagen, beispielsweise zum Schutz von kollisionsgefährdeten Vogel- und Fledermausarten, können bei einer Energienotlage zugunsten einer kontinuierlichen Erzeugung von elektrischem Strom aus Windenergie unangewendet bleiben. Auch Nachtabschaltungen zum Schutz vor Lärm könnten vorübergehend ausgesetzt werden. Selbes gilt für etwaige Drehzahl- oder Leistungsbegrenzungen der Anlage.

Wie geht es weiter?

Neben anderen Energieerzeugern wie konventionellen Kraftwerken beziehen sich die Regelungen vorwiegend auf WEA. Eine stabile Stromversorgung ist Teil der staatlichen Daseinsvorsorge, weshalb Betreiber von WEA durch die genannten Lockerungen der Betriebsmaßgaben die Möglichkeiten zur Energiegewinnung weiter ausreizen können.

Allerdings gilt es, die noch vorzulegende konkretisierende Rechtsverordnung zu berücksichtigen. Die beiden bisher in Kraft getretenen Verordnungen[3] sind jedoch nicht unmittelbar für den hiesigen Kontext einschlägig. Es bedarf noch einer entsprechenden Rechtsverordnung der Bundesregierung oder des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz gemäß § 30 Abs. 3 und 4 EnSiG, um die genannten Anpassungen für WEA zu konkretisieren. Welche Konkretisierungen hier zu erwarten sind, ist uns noch nicht bekannt. Falls die Verordnung länger als sechs Monate gelten soll, muss hierfür im Übrigen die Zustimmung des Bundesrates eingeholt werden.

Was wird sich in der Praxis ändern, insbesondere für den Artenschutz?

Zusätzlich befindet sich derzeit ein Gesetzesentwurf[4] für die Änderung des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG-E) in der Beratung. Der aktuelle Stand des Entwurfs zielt zwar in die gleiche Richtung wie der dargestellte § 30 EnSiG, jedoch bestehen wesentliche Unterschiede. Von besonderem Interesse für den Betrieb von WEA ist der neue § 31k BImSchG-E, der seinerseits lediglich befristete Geltung bis April 2023 (aktueller Stand) haben soll. Grundvoraussetzung für das Eingreifen der Vorschrift ist eine ernste oder erhebliche Gasmangellage.

Der Betreiber kann in diesem Fall einen Antrag auf Abweichung von Bestimmungen zum Schattenwurf und von Geräuschemissionen während der Nachtzeiten einreichen. Beim nächtlichen Betrieb können die festgelegten Schallpegel von WEA um maximal 4 Dezibel (dB) überschritten werden. Beschränkungen aus Gründen des Schattenwurfes können gänzlich ausgesetzt werden. Die Entscheidung über den Antrag beruht auf dem Ermessen der Behörde, genauer: auf einem sogenannten „intendierten Ermessen“ („soll“). Der Antrag darf seitens der Behörde also nur in atypischen Sonderfällen abgelehnt werden.

Darüber hinaus bietet der neue § 31k Abs. 3 BImSchG-E eine Zulassungsfiktion nach einem Monat ab Einreichung des Antrags. Das bedeutet, der Antrag gilt als bewilligt, wenn binnen eines Monats nicht über ihn entschieden wurde.

Die Vorschrift gewährt im Gegensatz zum § 30 Abs. 1 Nr. 3 lit. c) EnSiG keine Abweichungsmöglichkeiten von artenschutzrechtlich bedingten Nebenbestimmungen zur jeweiligen BImSchG-Genehmigung. Das bedeutet für den Artenschutz, dass artenschutzrechtliche Standards durch den neuen § 31k BImSchG-E nicht beeinträchtigt werden würden.

Fazit

Mit den oben genannten Regelungen liegen die rechtlichen Rahmenbedingungen für erhebliche Betriebserleichterungen insbesondere für WEA in gesetzlich definierten Energienotsituationen vor. Durch die möglichen Abweichungen beim Schutz vor Lärm und Schattenwurf wird es vermutlich zu vermehrten Konflikten mit Anwohnerinnen und Anwohnern kommen.

Eine etwaige Aufhebung artenschutzrechtlicher Abschaltauflagen könnte die Konfliktlagen für besonders geschützte Tierarten, zuvorderst für Vögel und Fledermäuse, verschärfen. Hier ist allerdings noch die konkretisierende Rechtsverordnung abzuwarten. Zudem ist zu bedenken, dass zunächst eine der im Gesetz aufgezählten Notsituationen eintreten muss. Der Gesetzgeber hat also eine Reihe von Vorbehalten formuliert, bevor er im Sinne der Abwendung einer Knappheit oder Störung die Aufhebung erlassener Auflagen zulässt. Sollten die Voraussetzungen gegeben sein und eine entsprechende Rechtsverordnung erlassen werden, dann sollte nach Auffassung des KNE in dieser sichergestellt sein, dass – auch in einem solchen dramatischen Szenario – grundlegende Artenschutzvorkehrungen so weit wie möglich aufrechterhalten bzw. so kurz wie möglich außer Kraft gesetzt werden. Es sollte alles Machbare unternommen werden, um zu verhindern, dass zur Überbrückung von Notsituationen in der Energieversorgung möglicherweise irreversible Schäden an Populationen geschützter Tierarten verursacht werden.


[1] In Kraft getreten am 12.07.2022, vgl. https://dip.bundestag.de/vorgang/.../288781.

[2] Diese Situationen sind: im Sektor Erdgas Ausrufung der Frühwarnstufe in Verbindung mit dem Notfallplan Gas (Nr. 1), für die Erzeugung elektrischer Energie ein Abruf der Kraftwerke nach den §§ 50a bis 50d Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) erfolgt – ein Fall der Stromknappheit (Nr. 2), die Brennstoffvorgaben aus § 50b Abs. 2 Nrn. 1 und 2 EnWG nicht eingehalten werden können – Unterschreitung der vorgeschriebenen notwendigen Brennstoffvorräte (Nr. 3) und im Sektor Erdöl die Tatbestände aus § 12 Abs. 1 S. 1 Nrn. 1, 2, 5 oder 6 Erdölbevorratungsgesetz vorliegen – Störung oder bedeutende Unterbrechung der Energieversorgung in Fällen besonderer Dringlichkeit oder bei lokalen Krisensituationen (Nr. 4).

[3] EnSikuMaV - Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über kurzfristig wirksame Maßnahmen (gesetze-im-internet.de) und Verordnung zur Sicherung der Energieversorgung über mittelfristig wirksame Maßnahmen - ensimimav.pdf (bmwk.de).

[4] „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Energiesicherungsgesetzes und anderer energiewirtschaftlicher Vorschriften“, siehe 20220914-entwurf-einer-formulierungshilfe-der-bundesregierung.pdf (bmwk.de).

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