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Veröffentlicht
12.10.2021
Schlagworte
  • Bestandsentwicklung
  • Rotmilan
  • Windenergie

Frage

Der Rotmilan wird von der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands 2020 "entlassen". Woran liegt es, und was hatte den Rotmilan 2015 auf die Vorwarnliste gebracht?

!Antwort

Die Rote Liste der Brutvögel Deutschlands (Ryslavy et al. 2020) ist ein wissenschaftliches Fachgutachten, welches das aktuelle Ausmaß der Gefährdung von Brutvögeln in Deutschland dokumentiert und bewertet (ebd., S. 15). Sie wird vom Nationalen Gremium Rote Liste Vögel (NGRLV) erarbeitet (ebd., S. 82). Die Rote Liste Brutvögel wurde bisher meist im Abstand von fünf Jahren fortgeschrieben. Künftig soll sie alle sechs Jahre fortgeschrieben werden und sich dabei am Turnus des Nationalen Vogelschutzberichtes nach Art. 12 der EU-Vogelschutz-Richtlinie orientieren. So können die für die EU-Berichtspflicht gesammelten Daten zugleich für die Erstellung der Roten Liste Brut-vögel genutzt werden (ebd., S. 17).

Die Daten der 6. Fassung der Roten Liste Brutvögel von 2020 beziehen sich auf die Berichtsperiode 2011-2016 (ebd., S. 18). Der Rotmilan hat in der Roten Liste Brutvögel von 2020 den Status „ungefährdet“ (ebd., S. 98). Ungefährdet bedeutet, dass die „Brutbestände zugenommen haben, stabil sind oder so wenig zurückgegangen sind, dass sie nicht mindestens in die Kategorie VB [Vorwarnliste Brutvögel] eingestuft werden müssen“ (ebd., S. 38). Dennoch sind auch diese Bestände „kontinuierlich zu beobachten, um Verschlechterungen frühzeitig zu erkennen“ (ebd.).

Zuvor, in der 5. Fassung der Roten Liste Brutvögel von 2015 (Grünberg et al.), hatte der Rotmilan den Status „Vorwarnliste“ (ebd., S. 58). Diese Rote Liste bezieht sich auf die Berichtsperiode 2005-2009 (ebd., S. 26). Die Einstufung von Arten in die Vorwarnliste bedeutet, dass sie merklich zurückgegangen, aber aktuell noch nicht gefährdet sind. Bestehen bestandsreduzierende Einwirkungen auf Arten der Vorwarnliste fort, „ist in naher Zukunft eine Einstufung in die Kategorie ‚Gefährdet‘ wahrscheinlich“ (ebd., S. 32).

Die Einstufung des Rotmilans als „ungefährdet“ in der Roten Liste Brutvögel von 2020 im Vergleich zur Einstufung „Vorwarnliste“ in der Roten Liste Brutvögel von 2015 ist nicht auf Änderungen an den zugrundeliegenden Kriterien zurückzuführen. Entscheidend für diese veränderte Bewertung der Gefährdungssituation war der kurzfristige Bestandstrend. Während dieser zum Zeitpunkt der Erstellung der 5. Roten Liste Brutvögel von 2015 stark abnehmend war, war er 2020 stabil.

Die Gefährdungseinstufung im Detail

Der Rote-Liste-Status gibt die Gefährdungssituation an. Die Gefährdungssituation der Brutvögel Deutschlands wird anhand von vier Kriterien analysiert und bewertet:

  • aktuelle Bestandssituation (Brutbestand),
  • langfristiger Bestandstrend,
  • kurzfristiger Bestandstrend,
  • Risikofaktoren/stabile Teilbestände (Ryslavy et al. 2020, S. 20).

Liegen die Werte der vier Kriterien vor, kann die Gefährdungssituation anhand einer Matrix bzw. eines „Einstufungsschemas“ bestimmt werden (ebd., S. 27).

In der Roten Liste Brutvögel 2020 wird der Rotmilanbestand mit 14.000 bis 16.000 Brutpaaren angegeben. Dies entspricht der Häufigkeitsklasse „mäßig häufig“. Der langfristige Bestandstrend des Rotmilans in Deutschland ist stabil. Dieser Trend bezieht sich auf Bestandsveränderungen in den letzten 100 bis 150 Jahren. Der kurzfristige Bestandstrend des Rotmilans (Zeitraum der letzten 24 Jahre) ist ebenfalls stabil (Ryslavy et al. 2020, S. 23 f., 98).

Risikofaktoren „liegen vor, wenn konkret und begründet zu erwarten ist, dass sich der kurzfristige Bestandstrend der betrachteten Art innerhalb der nächsten 12 Jahre aufgrund eines Risikofaktors um (mindestens) eine Kriterienklasse verschlechtern wird“ (ebd., S. 26). Die Prüfung auf stabile Teilbestände ist nur bei Arten der Gefährdungskategorie 1 „vom Aussterben bedroht“ relevant (ebd., S. 82). Beim Rotmilan liegt der Risikofaktor D „verstärkte direkte, konkret absehbare menschliche Einwirkungen (z. B. Habitatverluste durch Bauvorhaben, Entnahme von Individuen)“ vor (ebd., S. 91, 98). Als Quelle für den Risikofaktor werden Grüneberg und Karthäuser (2019) sowie Katzenberger und Sudfeldt (2019) angegeben.

Grüneberg und Karthäuser (2019) identifizierten „Nahrungsmangel vor allem in der Aufzuchtzeit durch intensive Landwirtschaft […], Störungen am Nest während der Brutzeit durch intensive Forstwirtschaft […], Kollisionen mit Windkraftanlagen […], zunehmende Prädation durch Waschbären […] sowie Verluste durch illegale Abschüsse und Vergiftungen“ (S. 102) als die wichtigsten bekannten Ursachen für Bestandsrückgänge des Rotmilans.

Katzenberger und Sudfeldt (2019) ermittelten auf Landkreisebene einen negativen statistischen Zusammenhang zwischen der Dichte an Windenergieanlagen und der Rotmilan-Bestandsentwicklung. Die Einflussstärke des Windenergie-Ausbaus auf die Bestandsentwicklung und die Wechselwirkungen mit weiteren Faktoren, die die Bestandsentwicklung beeinflussen, seien laut den Autoren allerdings noch anhand räumlich hochaufgelöster Untersuchungen zu ermitteln (ebd., S. 15).

Anhand der Ausprägung der vier Kriterien ergibt sich im Einstufungsschema die Gefährdungseinstufung „ungefährdet“ (Ryslavy et al. 2020, S. 27, 98).

In der Roten Liste Brutvögel 2015 (Grüneberg et al. 2015) wurde der Rotmilanbestand in Deutschland mit 12.000 bis 18.000 Brutpaaren angegeben, was der Häufigkeitsklasse „mäßig häufig“ entspricht (ebd., S. 58). Der langfristige Bestandstrend der letzten 100 bis 150 Jahre war stabil. Der kurzfristige Bestandstrend (damals noch der letzten 25 Jahre) war „stark abnehmend“. Eine starke Abnahme ist durch eine Bestandsabnahme um mehr als 20 Prozent gekennzeichnet (ebd., S. 24, 58).

„Verstärkte direkte, konkret absehbare menschliche Einwirkungen (z. B. Habitatverluste durch Bauvorhaben, Entnahme von Individuen)“ (Risikofaktor D) und „verstärkte indirekte, konkret absehbare menschliche Einwirkungen (z. B. Habitatverluste, Kontaminationen)“ (Risikofaktor I) wurden als Risikofaktoren angegeben (ebd., S. 54, 58). Für die Risikofaktoren wurde keine Quelle angeführt.

Die Ausprägung der vier Kriterien ergibt im Einstufungsschema die Gefährdungseinstufung „Vorwarnliste“ (ebd., S. 26, 58).

 

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Literaturverzeichnis

Grüneberg, C., Bauer, H.-G., Haupt, H., Hüppop, O., Ryslavy, T., Südbeck, P. (2015): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 5. Fassung, 30. November 2015. In: Berichte zum Vogelschutz 52, S. 19-67.

Grüneberg, C., Karthäuser, J. (2019): Verbreitung und Bestand des Rotmilans milvus milvus in Deutschland: Ergebnisse der bundesweiten Kartierung 2010-2014. Vogelwelt 129, S. 101-116.

Katzenberger, J., Sudfeldt, C. (2019): Rotmilan und Windkraft – Negativer Zusammenhang zwischen WKA-Dichte und Bestandstrends. Falke 66 (11), S. 12-15.

Ryslavy, T., Bauer, H.-G., Gerlach, B., Hüppop, O., Stahmer, J., Südbeck, P. Sudfeldt, C. (2020): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 6. Fassung, 30. September 2020. Berichte zum Vogelschutz 72, S. 13-112.