GefÀhrdungssituation des Rotmilans

Frage

Der Rotmilan wird von der Roten Liste der Brutvögel Deutschlands 2020 „entlassen“. Woran liegt es, und was hatte den Rotmilan 2015 auf die Vorwarnliste gebracht?

VollstÀndige Antwort

Die Rote Liste der Brutvögel Deutschlands (Ryslavy et al. 2020) ist ein wissenschaftliches Fachgutachten, welches das aktuelle Ausmaß der GefĂ€hrdung von Brutvögeln in Deutschland dokumentiert und bewertet (ebd., S. 15). Sie wird vom Nationalen Gremium Rote Liste Vögel (NGRLV) erarbeitet (ebd., S. 82). Die Rote Liste Brutvögel wurde bisher meist im Abstand von fĂŒnf Jahren fortgeschrieben. KĂŒnftig soll sie alle sechs Jahre fortgeschrieben werden und sich dabei am Turnus des Nationalen Vogelschutzberichtes nach Art. 12 der EU-Vogelschutz-Richtlinie orientieren. So können die fĂŒr die EU-Berichtspflicht gesammelten Daten zugleich fĂŒr die Erstellung der Roten Liste Brut-vögel genutzt werden (ebd., S. 17).

Die Daten der 6. Fassung der Roten Liste Brutvögel von 2020 beziehen sich auf die Berichtsperiode 2011-2016 (ebd., S. 18). Der Rotmilan hat in der Roten Liste Brutvögel von 2020 den Status „ungefĂ€hrdet“ (ebd., S. 98). UngefĂ€hrdet bedeutet, dass die „BrutbestĂ€nde zugenommen haben, stabil sind oder so wenig zurĂŒckgegangen sind, dass sie nicht mindestens in die Kategorie VB [Vorwarnliste Brutvögel] eingestuft werden mĂŒssen“ (ebd., S. 38). Dennoch sind auch diese BestĂ€nde „kontinuierlich zu beobachten, um Verschlechterungen frĂŒhzeitig zu erkennen“ (ebd.).

Zuvor, in der 5. Fassung der Roten Liste Brutvögel von 2015 (GrĂŒnberg et al.), hatte der Rotmilan den Status „Vorwarnliste“ (ebd., S. 58). Diese Rote Liste bezieht sich auf die Berichtsperiode 2005-2009 (ebd., S. 26). Die Einstufung von Arten in die Vorwarnliste bedeutet, dass sie merklich zurĂŒckgegangen, aber aktuell noch nicht gefĂ€hrdet sind. Bestehen bestandsreduzierende Einwirkungen auf Arten der Vorwarnliste fort, „ist in naher Zukunft eine Einstufung in die Kategorie ‚GefĂ€hrdet‘ wahrscheinlich“ (ebd., S. 32).

Die Einstufung des Rotmilans als „ungefĂ€hrdet“ in der Roten Liste Brutvögel von 2020 im Vergleich zur Einstufung „Vorwarnliste“ in der Roten Liste Brutvögel von 2015 ist nicht auf Änderungen an den zugrundeliegenden Kriterien zurĂŒckzufĂŒhren. Entscheidend fĂŒr diese verĂ€nderte Bewertung der GefĂ€hrdungssituation war der kurzfristige Bestandstrend. WĂ€hrend dieser zum Zeitpunkt der Erstellung der 5. Roten Liste Brutvögel von 2015 stark abnehmend war, war er 2020 stabil.

Die GefÀhrdungseinstufung im Detail

Der Rote-Liste-Status gibt die GefÀhrdungssituation an. Die GefÀhrdungssituation der Brutvögel Deutschlands wird anhand von vier Kriterien analysiert und bewertet:

  • aktuelle Bestandssituation (Brutbestand),
  • langfristiger Bestandstrend,
  • kurzfristiger Bestandstrend,
  • Risikofaktoren/stabile TeilbestĂ€nde (Ryslavy et al. 2020, S. 20).

Liegen die Werte der vier Kriterien vor, kann die GefĂ€hrdungssituation anhand einer Matrix bzw. eines „Einstufungsschemas“ bestimmt werden (ebd., S. 27).

In der Roten Liste Brutvögel 2020 wird der Rotmilanbestand mit 14.000 bis 16.000 Brutpaaren angegeben. Dies entspricht der HĂ€ufigkeitsklasse „mĂ€ĂŸig hĂ€ufig“. Der langfristige Bestandstrend des Rotmilans in Deutschland ist stabil. Dieser Trend bezieht sich auf BestandsverĂ€nderungen in den letzten 100 bis 150 Jahren. Der kurzfristige Bestandstrend des Rotmilans (Zeitraum der letzten 24 Jahre) ist ebenfalls stabil (Ryslavy et al. 2020, S. 23 f., 98).

Risikofaktoren „liegen vor, wenn konkret und begrĂŒndet zu erwarten ist, dass sich der kurzfristige Bestandstrend der betrachteten Art innerhalb der nĂ€chsten 12 Jahre aufgrund eines Risikofaktors um (mindestens) eine Kriterienklasse verschlechtern wird“ (ebd., S. 26). Die PrĂŒfung auf stabile TeilbestĂ€nde ist nur bei Arten der GefĂ€hrdungskategorie 1 „vom Aussterben bedroht“ relevant (ebd., S. 82). Beim Rotmilan liegt der Risikofaktor D „verstĂ€rkte direkte, konkret absehbare menschliche Einwirkungen (z. B. Habitatverluste durch Bauvorhaben, Entnahme von Individuen)“ vor (ebd., S. 91, 98). Als Quelle fĂŒr den Risikofaktor werden GrĂŒneberg und KarthĂ€user (2019) sowie Katzenberger und Sudfeldt (2019) angegeben.

GrĂŒneberg und KarthĂ€user (2019) identifizierten „Nahrungsmangel vor allem in der Aufzuchtzeit durch intensive Landwirtschaft [
], Störungen am Nest wĂ€hrend der Brutzeit durch intensive Forstwirtschaft [
], Kollisionen mit Windkraftanlagen [
], zunehmende PrĂ€dation durch WaschbĂ€ren [
] sowie Verluste durch illegale AbschĂŒsse und Vergiftungen“ (S. 102) als die wichtigsten bekannten Ursachen fĂŒr BestandsrĂŒckgĂ€nge des Rotmilans.

Katzenberger und Sudfeldt (2019) ermittelten auf Landkreisebene einen negativen statistischen Zusammenhang zwischen der Dichte an Windenergieanlagen und der Rotmilan-Bestandsentwicklung. Die EinflussstÀrke des Windenergie-Ausbaus auf die Bestandsentwicklung und die Wechselwirkungen mit weiteren Faktoren, die die Bestandsentwicklung beeinflussen, seien laut den Autoren allerdings noch anhand rÀumlich hochaufgelöster Untersuchungen zu ermitteln (ebd., S. 15).

Anhand der AusprĂ€gung der vier Kriterien ergibt sich im Einstufungsschema die GefĂ€hrdungseinstufung „ungefĂ€hrdet“ (Ryslavy et al. 2020, S. 27, 98).

In der Roten Liste Brutvögel 2015 (GrĂŒneberg et al. 2015) wurde der Rotmilanbestand in Deutschland mit 12.000 bis 18.000 Brutpaaren angegeben, was der HĂ€ufigkeitsklasse „mĂ€ĂŸig hĂ€ufig“ entspricht (ebd., S. 58). Der langfristige Bestandstrend der letzten 100 bis 150 Jahre war stabil. Der kurzfristige Bestandstrend (damals noch der letzten 25 Jahre) war „stark abnehmend“. Eine starke Abnahme ist durch eine Bestandsabnahme um mehr als 20 Prozent gekennzeichnet (ebd., S. 24, 58).

„VerstĂ€rkte direkte, konkret absehbare menschliche Einwirkungen (z. B. Habitatverluste durch Bauvorhaben, Entnahme von Individuen)“ (Risikofaktor D) und „verstĂ€rkte indirekte, konkret absehbare menschliche Einwirkungen (z. B. Habitatverluste, Kontaminationen)“ (Risikofaktor I) wurden als Risikofaktoren angegeben (ebd., S. 54, 58). FĂŒr die Risikofaktoren wurde keine Quelle angefĂŒhrt.

Die AusprĂ€gung der vier Kriterien ergibt im Einstufungsschema die GefĂ€hrdungseinstufung „Vorwarnliste“ (ebd., S. 26, 58).

Quellen

GrĂŒneberg, C., Bauer, H.-G., Haupt, H., HĂŒppop, O., Ryslavy, T., SĂŒdbeck, P. (2015): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 5. Fassung, 30. November 2015. In: Berichte zum Vogelschutz 52, S. 19-67.

GrĂŒneberg, C., KarthĂ€user, J. (2019): Verbreitung und Bestand des Rotmilans milvus milvus in Deutschland: Ergebnisse der bundesweiten Kartierung 2010-2014. Vogelwelt 129, S. 101-116.

Katzenberger, J., Sudfeldt, C. (2019): Rotmilan und Windkraft – Negativer Zusammenhang zwischen WKA-Dichte und Bestandstrends. Falke 66 (11), S. 12-15.

Ryslavy, T., Bauer, H.-G., Gerlach, B., HĂŒppop, O., Stahmer, J., SĂŒdbeck, P. Sudfeldt, C. (2020): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands. 6. Fassung, 30. September 2020. Berichte zum Vogelschutz 72, S. 13-112.