Auswirkungen der Windenergie auf Fluginsekten

Frage

Wie ist der aktuelle Stand des Wissens zu Auswirkungen von Windenergieanlagen auf Fluginsekten?

Vollständige Antwort

Mehrere internationale Studien berichteten in der Vergangenheit über die Senkung der Leistungsfähigkeit bzw. der Stromproduktion von Windenergieanlagen (WEA), die durch Reste großer Mengen getöteter Insekten an den Rotorblättern und dadurch verschlechterte aerodynamische Eigenschaften entstehen sollen (Soltani et al. 2011, Han et al. 2018). Dies war Anlass für weitergehende Überlegungen, ob die Windenergie relevante Auswirkungen auf die Mortalität von Fluginsekten hat. Nachfolgend wird auf die jüngeren Studien zu diesem Thema eingegangen.

1. Die FliWip-Studie von Trieb (2018)

In einer ersten deutschen Studie widmete sich Trieb (2018) dem Thema. Der Autor wertete Literatur zur Entomologie, Windenergietechnik und Atmosphärenphysik aus. Darauf basierend leitete er mögliche Zusammenhänge ab und führte eine grobe modellbasierte Schätzung der Insektenmortalität an WEA durch. Er kam zu dem Ergebnis, dass jährlich 1.200 Tonnen Insekten durch alle zum Zeitpunkt der Untersuchung betriebenen WEA in Deutschland getötet werden könnten. Er schlussfolgerte, dass dies über die Betriebszeiträume von mehr als fünfzehn Jahren auch für die Stabilität von Insektenpopulationen relevant sein könnte. (Trieb et al. 2018, S. 2)

Die Studie wurden insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um das (weltweite) Insektensterben in Deutschland kritisch und kontrovers diskutiert. Das BfN gab hierzu ein Faktenpapier heraus (BfN 2019).[1]

2. Studie zu Schwarmvorkommen von Insekten auf Gondelniveau (Jansson et al. 2020)

In einer schwedischen Studie (Jansson et al. 2020) wurden mittels hochauflösender Lidar-Technik[2] Schwarmvorkommen von Fluginsekten auf Gondelhöhe von WEA erfasst. Zeitgleich wurde die Aktivität von Fledermäusen akustisch erfasst, um weitere Kenntnisse zu möglichen Anlockeffekten für Fledermäuse zu erlangen. Die Untersuchungen erfolgten an zehn Terminen im Sommer vom späten Nachmittag bis in die Nacht. Eine Erfassung von Insekten-Kollisionsopfern an den Rotorblättern erfolgte nicht.

Insektenschwärme wurden an jedem Untersuchungstag festgestellt. Sie traten in kurzen zeitlichen Intervallen auf und variierten von Tag zu Tag in Dichte, Zeit und genauer Lokalität und Größe des Auftretens. Die Variation schienen laut den Autoren abhängig zu sein von der Temperatur, der Windgeschwindigkeit und auch von den auftretenden Arten(gruppen). Größere Insektenarten schwärmten nur in wenigen (zwei) Nächten mit geringen Windgeschwindigkeiten [in denen keine Kollisionsgefahr mit den Rotorblättern bestand].

Voigt (2021) fordert in einem Fachartikel zu Insekten und Windenergie angesichts des bislang insgesamt begrenzten Wissens, dass die Interaktion von Insekten mit WEA und auch die Mortalität von Insekten an WEA weiter erforscht und modellhafte Abschätzungen mit empirischem Wissen untersetzt werden sollten (ebd., S. 3 und S. 5).

3. Studie mit vergleichender Erfassung von Fluginsekten am Boden und in der Höhe (Trusch et al. 2021)

Eine derartige Forschung wurde vom Staatlichen Museum für Naturkunde Karlsruhe betrieben und deren Ergebnisse in der Studie von Trusch et al. (2021) veröffentlicht. Das Autorenteam untersuchte mit Licht- und Klebefallen das Auftreten nachtaktiver Insekten am Boden und in Höhe der Gondel auf 100 Metern Höhe. Ergebnis der Untersuchungen an neun Tagen innerhalb der Vegetationsperiode war, dass nur geringe Mengen nachtaktiver Insekten gezählt wurden. Während der parallelen Erfassung am Boden war die Zahl um ein Vielfaches höher. Ergänzende Untersuchungen mit Klebefallen während der Sommermonate Juni und Juli und auch in weiteren Untersuchungen in den Folgemonaten ergaben das gleiche Bild. Das erfasste Artenspektrum aber unterschied sich in Gondelhöhe von dem am Boden. In der Höhe fand man viele Kleininsekten, während am Boden hauptsächlich Nachtfalter gezählt wurden.

Die Gesamtergebnisse führten die Forscher zu der Einschätzung, dass WEA für das Phänomen des aktuellen Insektenschwundes keine Bedeutung zukommt. Auch ein erhöhtes Vorkommen von Insekten in warmen windstillen Sommernächten dürfte für die Insekten weniger problematisch sein, da WEA in solchen Nächten still stünden[3], so die Autoren. (Trusch et al. 2021, S. 73)

Die Autoren fordern in ihrem Fazit allerdings ebenfalls, dass weitere Forschungen notwendig seien, um die Ergebnisse auf eine breitere Basis zu stellen (ebd. S. 93 f.).

4. Laufende Forschung

Aktuelle Forschungen zur Insektenabundanz an WEA werden – hier in Verbindung mit Fragen des Auftretens und der Aktivität von Fledermäusen an WEA – im Forschungsvorhaben NatForWINSENT II durchgeführt. Hierzu wurde eine Insektenfotofalle entwickelt und mit dieser vor der Errichtung von WEA die Insektenabundanz an einem Gittermast in unterschiedlichen Höhen untersucht. In einer zweiten Phase nach Errichtung der WEA werden die Erfassungen fortgesetzt und dann auch mit Umweltparametern (und Fledermausaktivitätsdaten) verschnitten.

Quellen

[1] In einer Stellungnahme des für die Studie verantwortlichen Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrttechnik (DLR) relativierte auch der Autor die populationsbezogenen Schlussfolgerungen der Studie, was die Debatte weiter beruhigte.

[2] Lidar steht für „Light imaging, detection and ranging) und stellt eine laserbasierte Methode zur Fernmessung atmosphärischer Parameter dar.

[3] Die Autoren schließen daraus auch, dass eine durch das reichere Nahrungsangebot möglicherweise erhöhte Anlockwirkung für Fledermäuse in windstillen Nächten weniger problematisch sein dürfte. (Trusch et al. 2021, S. 73)


BfN (2019): Insektenrückgang – potenzieller Einfluss der Windenergienutzung in Deutschland? Aktualisierter Stand vom 21.05.2019. 3 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2021).

Han, W., Kim, J., Kim, B. (2018): Effects of contamination and erosion at the leading edge of blade tip airfoils on the annual energy production of wind turbines. Renewable Energy 115. S. 817-823.

Jansson, S., Malmqvist, E., Brydegaard, M., Åkesson, S., Rydell, J. (2020): A Scheimpflug lidar used to observe insect swarming at a wind turbine. Ecological Indicators 117 (106578).

Soltani, M.R., Birjandi, A.H., Seddighi Moorani, M. (2011): Effect of surface contamination on the performance of a section of a wind turbine blade. Scientia Iranica B 18 (3). S. 349-357. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2021).

Trieb, F. (2018): Study Report Interference of Flying Insects and Wind Parks. Stuttgart. 30 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2021).

Trusch, R., Falkenberg, M., Mörtter, R. (2021): Anlockwirkung von Windenergieanlagen auf nachtaktive Insekten. Carolinea 78. S. 73-128. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2021).

Voigt, C.C. (2021): Insect fatalities at wind turbines as biodiversity sinks. Conservation Science and Practice 3. S. 5. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2021).