Frage
Gibt es gesetzgeberische Bedingungen, die die Nutzung von Dachflächen für die Photovoltaik, insbesondere solche von großen Lagerhallen oder Auslieferungszentren, hemmen oder ist das mangelnde Interesse der Gebäudeeigentümerinnen und -eigentümer der Grund, warum diese Flächen nicht genutzt werden? Gibt es Überlegungen, hier gesetzgeberisch einzugreifen und eine Nutzung dieser Flächen für Photovoltaik vorzuschreiben?
Vollständige Antwort
Lager- und Auslieferungszentren, Baumärkte oder andere große Gebäude bieten in der Tat attraktive Flächen für Photovoltaik-Dachanlagen. Ihr Potenzial zu erschließen ist eine bedeutsame politische Herausforderung – auch, um Eingriffe in Natur und Landschaft zu minimieren. Allerdings gibt es einige technische, rechtliche und wirtschaftliche Hindernisse, die dazu führen, dass diese Potenziale noch nicht erschlossen sind. Einige davon möchten wir hier nennen:
Auf der technischen Seite ist es ein großes Hindernis, dass viele Gebäude, insbesondere Lagerhallen, die in Leichtbauweise gebaut wurden, den statischen Anforderungen für eine Photovoltaik-Dachanlage nicht genügen (Bergner et al. 2019, S. 38). Zudem sind nicht alle Dachflächen wirtschaftlich nutzbar, etwa wenn sie verschattet werden oder nicht dem Sonnenverlauf entsprechend ausgerichtet sind (ebd., S. 39).
Hinzu kommen einige rechtliche Umstände, die Investitionen in Dachanlagen für Einmalakteure unattraktiver machen. Bergner et al. (2019, S. 17) kritisieren unter anderem die Ausschreibungspflicht für Anlagen mit einer installierten Leistung über 750 Kilowatt. An der Ausschreibung teilzunehmen bedeutet, dass die Dachanlagen mit Freiflächenanlagen konkurrieren müssen und nicht zur Eigenversorgung genutzt werden dürfen (ebd.). Bereits ab 100 Kilowatt ist eine Direktvermarktung und damit verbunden der Einbau eines Zählers verpflichtend und die Mieterstromförderung entfällt (ebd., S. 16). Dies bedeutet eine zusätzliche finanzielle Belastung sowie einen hohen bürokratischen Aufwand, weswegen viele Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer lieber kleinere Anlagen bauen und dadurch die installierte Leistung hinter den Potenzialen zurückbleibt (ebd.). Im Allgemeinen finden Bergner et al. (2019, S. 12) den Strommarkt und die Bürokratie rund um die Dachanlagen für Einmalakteure zu kompliziert. Auch der Mieterstrom wird kritisiert. Wenn die Immobilieneigentümerin oder -eigentümer den Strom seinen Mieterinnen oder Mietern anbieten möchte, muss sie oder er selbst zum Stromversorger werden und darf keinen Dienstleister mit der Vermarktung beauftragen, da sie oder er sonst keinen Anspruch auf den Mieterstromzuschlag hat (Bergner et al. 2019, S. 24).
Bei Lagerhallen und ähnlichen Gebäuden, die von Unternehmen gemietet werden, ist die Lage noch komplizierter. Gebäude mit gewerblicher Nutzung sind vom Mieterstromzuschlag generell ausgeschlossen, so dass sich eine Eigenversorgung oder eine Direktbelieferung finanziell weniger lohnt (Bergner et al. 2019, S. 31). Für Lagerhallen mit einem sehr geringen Stromverbrauch und Industrieunternehmen mit sehr geringen Strombezugspreisen ist der Eigenverbrauch sowieso kein großer Anreiz. Oft ist die Anlage aber nur in Kombination mit dem Eigenverbrauch wirtschaftlich attraktiv (Bergner et al. 2019, S. 48 f.). Auch aufgrund dieser Tatsache werden Anlagen oft kleiner als möglich skaliert (ebd.).
Nicht zuletzt stehen Architektinnen und Architekten Photovoltaik-Anlagen nicht immer aufgeschlossen gegenüber und planen diese nicht regelmäßig mit (Bergner et al. 2019, S. 69). Auf denkmalgeschützten Gebäuden ergeben sich weitere Restriktionen.
Zur Förderung des Ausbaus der Photovoltaik auf Dachflächen, gibt es erste Beschlüsse, die vorschreiben, dass Neubauten beziehungsweise neue Parkplätze ab einer gewissen Größe mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet werden müssen. So werden in Baden-Württemberg ab 2022 voraussichtlich alle neuen Nicht-Wohngebäude sowie alle neuen überdachten Parkplätze mit mindestens 75 Stellplätzen eine Photovoltaik-Anlage aufweisen müssen (die Entscheidung des Landtages steht noch aus) (Schaudwet 2020, online). In Hamburg und Bremen wird die Pflicht sogar für alle neuen Gewerbe- und Wohngebäude gelten (energiekonsens – die Klimaschützer 2020, online). Später soll sie sich auch auf Dachsanierungen auf bestehenden Gebäuden ausweiten (ebd.). Auch die Senatsverwaltung in Berlin arbeitet gerade an einem „Masterplan Solarcity“ und hat ein Solargesetz entworfen, was die Pflicht von Solaranlagen auf Neubauten und bei Dachsanierungen beinhaltet (Schmalz 2020, online).
In Marburg versuchte man zunächst durch eine Solarsatzung den Ausbau der Photovoltaik-Dachanlagen zu beschleunigen (Longo 2018, S. 114). Diese wurde jedoch von dem hessischen Landesgesetzgeber für unrechtmäßig erklärt (ebd.). Nun nutzt man den Gestaltungsspielraum der Bauleitplanung, indem in Bebauungsplänen vermehrt eine Photovoltaik-Pflicht für mindestens 30 Prozent der Dachflächen im Plangebiet festgesetzt wird (ebd.).
Der Bundesverband Solarwirtschaft würde es präferieren, wenn auf freiwillige Anreize gesetzt werden würden und man die Steuer für Selbst- und Direktversorger abschaffen und die Ausbauziele im EEG erhöhen würde (Schaudwet 2020, online).
Das KNE unterstützt den bevorzugten Ausbau von Photovoltaik auf und an Gebäuden. Im Gesetzentwurf der EEG-Novelle für 2021 finden sich wenige neue Anreize. So soll es ein eigenes Ausschreibungssegment für Dachanlagen geben, so dass sie nicht mehr mit den günstigeren Freiflächenanlagen konkurrieren müssen (Enkhardt 2020, online). Die Vergütung und das Ausschreibungsvolumen sind aber laut Branchenexpertinnen und -experten zu gering und die Ausweitung der Ausschreibungspflicht auf Anlagen ab 500 Kilowatt sei eher kontraproduktiv (ebd.). Als hemmend werden auch die verschärften Mess- und Regelungsanforderungen, wie die erweiterte Einbaupflicht für Smart-Meter, angesehen (ebd.).
Es bestehen also in der Tat einige Hemmnisse für den weiteren Ausbau der Photovoltaik und es liegt nicht nur an dem geringen Engagement der Immobilienbesitzerinnen oder -besitzer, wenn die Potenziale der Dachflächen nicht genutzt werden. Zur besseren Erschließung der Potenziale sollten flächendeckende, verpflichtende Vorgaben beschlossen oder bessere Anreize geboten werden. Aus einer Studie des Energieversorgers E.ON geht hervor, dass man allein durch die Installation von durchschnittlichen Photovoltaik-Anlagen auf den Dächern der jährlich etwa 80.000 hinzugebauten Einfamilienhäuser 600 Millionen Kilowattstunden Strom pro Jahr erzeugen könnte (ein Tausendstel des gesamten jährlichen Stromverbrauchs Deutschlands) (Spiegel Gruppe 2020, online).
Weiterführend können wir das Handbuch „Klima- und Naturschutz: Hand in Hand“ (Heiland 2019) empfehlen, welches in Heft 3 auf Photovoltaik-Dachanlagen und deren naturschutzfachlichen Belange sowie technischen Besonderheiten eingeht.
Quellen
Bergner, J., Siegel, B., Quaschning, V. (2019): Hemmnisse und Hürden für die Photovoltaik. HTW – Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin, Berlin. 80 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 18.08.2020).
energiekonsens – die Klimaschützer (2020): Solarpflicht für Neubauten kommt. Solar in Bremen. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.10.2020).
Enkhardt, S. (2020): Viel Kritik an EEG-Referentenentwurf. pv magazine. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.10.2020).
Longo, V.F. (2018): Klimaschutz im Städtebaurecht. DÖV – Die öffentliche Verwaltung (3). S. 107–116.
Schaudwet, C. (2020): Muss bald jeder Neubau Solarzellen auf dem Dach haben? Der Tagesspiegel. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.10.2020).
Schmalz, S. (2020): Berlin auf dem Weg zur Solarcity. Kraftvolles Scheinen. taz. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.10.2020).
Spiegel Gruppe (2020): Eon-Studie. Deutschland erzielt Solarstrom-Rekord. Spiegel online. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.10.2020).