Rotmilan und Windenergie – Wo ist das Problem?
Ausgehend vom ZDF frontal-Beitrag „Rotmilan gegen Windkraft“ wurde dessen Kernaussage in einigen Fällen dahingehend kommentiert, dass Schutzmaßnahmen und Abschaltungen von Windenergieanlagen (WEA) für Rotmilane nicht mehr nötig seien. Doch wenn WEA als Todesursache nicht an erster Stelle stünden – hieße dies, dass das Kollisionsrisiko im Genehmigungsfall nicht mehr zu prüfen und auch Schutzmaßnahmen nicht erforderlich wären? Unsere Einordnung aus fachlicher und aus juristischer Sicht stellt klar, wo wir die Grenzen legitimer Ergebnisinterpretation ziehen, und welche Schlussfolgerungen bezüglich des Umgangs mit dem Rotmilan in Genehmigungsvorhaben (nicht) gezogen werden sollten.
Fachliche Einordnung
- Das EUROKITE-Projekt nimmt verschiedene Todesursachen für Rotmilane in den Blick. Es wird deutlich, dass neben Tod durch Kollision (Verkehr, Freileitungen, Windenergie) auch absichtliche Tötungen (Vergiftung) und Prädation häufige Mortalitätsursachen sind. Das Projekt läuft noch bis 2027. Es soll wesentliche Erkenntnisse dazu liefern, durch welche Faktoren der Erhaltungszustand im Gesamtlebensraum beeinflusst wird.
- Die in der ZDF-Sendung berichteten Zwischenergebnisse sind bisher nicht wissenschaftlich nachprüfbar veröffentlicht. Bevor daher Schlussfolgerungen über die hauptsächlichen Todesursachen des Rotmilans und damit für den Umgang derselben in Genehmigungsverfahren gezogen werden können, bedarf es einer Überprüfung und wissenschaftlicher Einordnung der Ergebnisse.
- Das Projekt EUROKITE weist in seiner Pressemitteilung selbst darauf hin, dass die Ergebnisse zu den Todesursachen des Rotmilans nicht per se auf Deutschland übertragbar sind, da die Todesursachen in Europa ungleichmäßig verteilt seien. Zielführend wäre es, die Ergebnisse der Analyse von Todesursachen zu regionalisieren, denn es ist zu vermuten, dass die Häufigkeit der Todesursachen in den Sommer- und Winterverbreitungsgebieten variiert. Der europäische Durchschnitt verzerrt unter Umständen die Darstellung der Todesursachen. Zudem sind brütende Altvögel in der EUROKITE-Untersuchung derzeit noch unterrepräsentiert, da die meisten Rotmilane als Jungtiere im Nest besendert wurden. All diese Faktoren können in Zukunft zu Verschiebungen bei der Häufigkeit der Todesursachen führen, wie EUROKITE in Punkt 12 seiner Pressemitteilung betont.
- Der Rotmilanbestand unterliegt mehreren Mortalitätsfaktoren, diese können auch kumulativ wirken. Für den guten Erhaltungszustand des Rotmilans kommt es darauf an, alle Gefährdungsfaktoren gleichermaßen zu minimieren, zumal wenn sie Verbotstatbestände erfüllen.
- Weitere fachliche Stellungnahmen finden Sie
- beim Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V. und
- im NABU-Blog.
Rechtliche Einordnung
Sollen Windenergieanlagen zugelassen werden, ist hierfür eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung erforderlich. Die Genehmigung kann nur erteilt werden, wenn dieser keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen. Auch die Vorgaben des besonderen Artenschutzrechts sind Vorschriften in diesem Sinne.
- Besonderes Artenschutzrecht
Nach den Regelungen des besonderen Artenschutzrechts ist es grundsätzlich verboten, besonders geschützte Arten zu töten oder zu verletzen. Dieses Verbot ist unter anderem im Genehmigungsverfahren von WEA an Land einzuhalten. Das Verbot gilt individuenbezogen, jedes Exemplar einer Art genießt den Schutz des Gesetzes und steht daher im Fokus der Prüfung. Gleichzeitig bedeutet der Individuenbezug auch, dass sich populationsbezogene Relativierungen verbieten. Es kann also nicht argumentiert werden, ein Tötungsrisiko liege nicht vor, weil es der Population der betroffenen Art gut gehe.
Signifikante Risikoerhöhung
Vielmehr kommt es bei Vorhabenzulassung darauf an, ob das Risiko zu Tode zu kommen, durch Bau und Betrieb der Anlage für die betroffene Art in signifikanter Weise erhöht ist. Ausschlaggebend für die Beurteilung dieser signifikanten Risikoerhöhung sind nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) das artspezifische Verhalten, die Frage, ob Exemplare besonders geschützter Arten häufig im Gefahrenbereich anzutreffen sind, und die Wirksamkeit etwaiger Schutzmaßnahmen zur Verringerung des Risikos. (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.07.2011 – 9 A 12/10, Rn. 99) Der Zustand der Population spielt aus rechtlicher Perspektive bei der Frage, ob ein Vorhaben gegen das artenschutzrechtliche Tötungsverbot verstößt, derzeit keine Rolle. Erst und nur auf Ebene der Ausnahme werden populationsbezogene Betrachtungen vorgenommen. - Schutzmaßnahmen
Zur Minimierung des Kollisions- und Tötungsrisikos werden regelmäßig Schutzmaßnahmen ergriffen. Diese dienen in der Signifikanzprüfung dazu, das Risiko im Einzelfall auf ein zulässiges Maß zu senken und so zu verhindern, dass das Verbot verwirklicht wird. Die Schutzmaßnahmen werden nicht obsolet, wenn der Erhaltungszustand der betroffenen Art günstig ist, denn der Zustand der Population spielt bei der Beurteilung der Signifikanz gerade keine Rolle. Zum Schutz, während der Brut- und Aufzuchtphase, in der die Aktivität der Vögel im Bereich des Horstes besonders hoch ist, können beispielsweise Abschaltungen der Windenergieanlagen auferlegt werden. Alternativ zu diesen pauschalen Abschaltauflagen können auch Antikollisionssysteme die Windenergieanlage anlassbezogen abschalten, wenn sich ein Vogel der Anlage gefährlich nähert. - Einschätzung des Europäischen Gerichtshofes
Die zentralen Vorschriften des europäischen und nationalen Rechts zum Vogelschutz nutzen den Schutz einzelner Individuen als zentrales Mittel, um den Erhalt der Art zu gewährleisten. Damit ist es beispielsweise verboten, besonders geschützte Arten zu töten oder ihre Nester und Eier zu zerstören oder zu beschädigen. Es ist ungeklärt, ob ein populationsbezogenes Vorgehen bereits bei der Prüfung des Tötungsverbotes mit dem europäischen Recht vereinbar wäre. Der Europäische Gerichtshof hat sich zumindest im Hinblick auf die Vogelschutzrichtlinie zu dieser Frage noch nicht geäußert.
Fazit
Aus dem Zwischenstand des EUROKITE-Vorhabens können keine direkten Schlussfolgerungen über die Behandlung des Rotmilans in Genehmigungen von Windenergieanlagen gezogen werden. Als europäische Vogelart ist er laut Vogelschutzrichtlinie der Europäischen Union geschützt. Die Frage, ob er durch WEA im konkreten Einzelfall signifikant erhöhten Tötungsrisiken ausgesetzt ist, wird durch die Zwischenergebnisse von EUROKITE nicht beantwortet. Insofern können die Erkenntnisse derzeit keine Rückwirkungen auf seine Einstufung als kollisionsempfindliche Art oder das Erfordernis von Schutzmaßnahmen haben. Diese Entscheidungen sind an anderer Stelle zu treffen.
Über das KNE
Das 2016 gegründete Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) ist eine von der Umweltstiftung Michael Otto getragene und vom Bundesumweltministerium finanzierte Einrichtung. Zweck der gemeinnützigen GmbH ist die Unterstützung einer naturverträglichen Energiewende vor Ort. Das KNE bietet Beratung und umfangreiche Fachinformationen an, es organisiert Dialog und Austausch, und vermittelt, wenn es beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu Konflikten kommt, speziell ausgebildete Mediatorinnen und Mediatoren.
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