Klagen über Klagen?
Untersuchung über Klageaufkommen für Wind- und PV-Projekte
Berlin, 16. April 2020. Dass der weitere Ausbau der erneuerbaren Energien in Deutschland derzeit schleppend verläuft, hat unterschiedliche Ursachen. Immer wieder wird der Vorwurf erhoben, fast jede Windenergieanlage und fast jeder Solarpark werde beklagt. Dem gegenüber steht der Vorwurf, sehr viel häufiger würden die Projektentwickler vor Gericht gehen, wegen nicht erteilter Genehmigungen oder Auflagen. Welche belastbaren Aussagen können zu Umfang, Inhalt und Akteuren von Klagen gegen erneuerbare Energien aber tatsächlich verlässlich getroffen werden?
Untersuchungen zum Klageaufkommen
In den vergangenen Jahren wurden überhaupt nur zwei Berichte veröffentlicht, die sich mit Gegenstand und Akteursstruktur von Klagen im Bereich der erneuerbaren Energien beschäftigten.
Frau Prof. Dr. Anja Hentschel (Hochschule Darmstadt) hat 2017 ein Gutachten[1] für das Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (KNE) erarbeitet, in dem qualitativ untersucht wurde, welche Urteile in den Jahren 2000 bis 2016 gegen erneuerbare Energien ergangen sind. Dabei wurden verschiedene Energieträger (Onshore-Windenergie, Solarenergie, Bioenergie und Wasserkraft) berücksichtigt und der Fokus auf Natur- und Artenschutz sowie den Umweltschutz gelegt. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass im Spannungsfeld Naturschutz und Energiewende alle Akteure, sowohl Projektentwickler als auch Natur- und Umweltschutz und auch Bürgerinnen und Bürger als Kläger vor den Gerichten auftreten.
Die Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) hat im Jahr 2019 eine Umfrage durchgeführt. Sie hat Projektentwickler befragt, wie viele ihrer Projekte aktuell aus welchen Gründen von welchen Akteuren beklagt wurden.[2] Die Umfrage deutet darauf hin, dass bundesweit etwa gegen ein Fünftel der genehmigten Windenergieanlagen eine Klage eingereicht wurde, in Bayern und Hessen waren es sogar knapp 40 Prozent. Womit sich zu Recht die Frage stellt, ob die Arbeitsfähigkeit der Windenergiebranche durch eine Klagewelle erheblich eingeschränkt wird.
Beide Veröffentlichungen liefern interessante Hinweise zum Klagegeschehen, geben jedoch keine belastbare Antwort auf die Frage, ob der Großteil der Klagen von Bürgerinitiativen und Naturschutzverbänden geführt wird oder ob es die Projektentwickler sind, die überwiegend gegen versagte Genehmigungen oder ihnen erteilte Auflagen klagen.
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat – nach unserer Kenntnis als einziger unter den anerkannten Naturschutz- und Umweltverbänden – im Jahr 2019 offengelegt, in wie vielen Fällen er bislang gegen Windenergieprojekte geklagt hatte.[3] Danach seien innerhalb der letzten zehn Jahre 45 Klagen gegen Windenergieprojekte erhoben worden. Davon seien zum Zeitpunkt der Bekanntgabe zwanzig Verfahren bereits abgeschlossen gewesen, wovon der NABU nur drei verloren habe.
Bekannt sind außerdem die Zahlen der laufenden Klagen im Bereich der Windenergie aus dem Kreis Paderborn zum Stichtag 31. August 2019. Diese Daten wurden vom Kreis Paderborn auf einer Veranstaltung für die Bürger und Bürgerinnen veröffentlicht[4] und sind die einzige uns bekannte veröffentlichte Kompletterfassung von Klageverfahren eines Verwaltungsgebiets gegen Windenergievorhaben. Es zeigt sich danach eine sehr hohe Anzahl von Klagen seitens der Projektentwickler wegen versagter Genehmigungen oder Betriebsauflagen im Verhältnis zu Klagen von Anwohnenden und Naturschutzverbänden. Es wäre nach unserer Einschätzung jedoch unseriös, die Ergebnisse eines so begrenzten Erhebungsgebiets auf die ganze Bundesrepublik hochzurechnen, da die Windenergie in Deutschland und die damit verbundenen Konfliktlagen nicht gleichmäßig verteilt sind.
Bewertung der Datenlage
Es gibt bisher keine empirisch abgesicherten Belege oder repräsentativen Erhebungen darüber, wie häufig von wem und mit welcher Zielrichtung gegen Windenergievorhaben oder gegen deren versagten Genehmigungen oder gegen die erteilten Auflagen geklagt wird. Eine zentrale gerichtliche Erfassung gibt es nicht. Auch clustern die Gerichte die bei ihnen eingereichten Klagen nicht in einer Weise, die eine Analyse des Klageverhaltens der unterschiedlichen Akteure ermöglichen würde.
Derzeit ist es daher nicht möglich, eine Aussage zum Klageumfang und zum Klageverhalten einzelner Akteursgruppen – egal ob Befürworter oder Gegner einer (naturverträglichen) Energiewende – abzugeben. Es kann nur spekuliert werden.
Zudem: Klagen von Betreibern und Projektentwicklern gegen die Versagung einer beantragten Genehmigung oder gegen eventuelle Auflagen von erteilten Genehmigungen bremsen den Ausbau der Windenergienutzung nicht. Die oft erfolgreichen Klagen von Naturschutzorganisationen tragen zur Vermeidung zukünftiger Fehler bei und verbessern die Naturverträglichkeit der Energiewende.
Ein wichtiger Schritt auf dem Weg, Klagen zu verringern, wäre es nach unserer Auffassung, die untergesetzliche Maßstabsbildung in Artenschutzfragen deutlich zu verbessern. So würde rechtssicheres Handeln der Behörden gestärkt, Klagegründe könnten entfallen.
Um weitere Ansatzpunkte zur Reduzierung von Klagegründen zu identifizieren, wäre zudem ein umfassendes Forschungsprojekt zum gerichtlichen Klagegeschehen eine lohnenswerte Investition.