Nach Auffassung von Schreiber (2016)* ist der derzeitige Umgang mit dem individuenbezogenen Tötungsverbot nach § 44 BNatSchG bei der Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) unbefriedigend. Er schwanke zwischen einem Totalverbot bei Vorkommen „prominenter“ kollisionsgefährdeter Vogelarten und der weitgehenden Ignorierung des Tötungsverbots bei Vorkommen häufigerer Arten. Ebenso fehlten Ansätze, die die räumliche und zeitliche Variabilität des Auftretens kollisionsgefährdeter Vogelarten über die Laufzeit von WEA berücksichtigen. Von artenschutzrechtlichen Ausnahmen nach § 45 Abs. 7 BNatSchG würde nur selten und lediglich pauschal Gebrauch gemacht, obwohl das Ausnahmeverfahren zwischen den genannten Polen vermitteln würde. Abschaltzeiten für Vogelarten würden selten festgesetzt – das Potenzial derartiger Maßnahmen der Risikominimierung würde somit nicht ausgeschöpft.
Der Landkreis Osnabrück beauftragte daher ein Gutachten, in dem ein Verfahrensansatz zur Festlegung von Abschaltzeiten für die im Landkreis vorkommenden windenergiesensiblen Brutvogelarten entwickelt werden sollte.
Das KNE fasst die wesentlichen Inhalte und Besonderheiten des Ansatzes zusammen und ordnet diese unter Berücksichtigung von Diskussionen, veröffentlichten Fachmeinungen und weiteren Quellen sowie eines am KNE im Dezember 2017 durchgeführten Fachgesprächs in den aktuellen fachlichen, rechtlichen und praktischen Kontext ein.
Im Fokus:
- Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) im Ausnahmeverfahren.
- Festlegung von „Abschaltkontingenten“ in Abhängigkeit von der wirtschaftlichen Zumutbarkeit.
- Flexibilisierung durch jährliche Anpassung der Abschaltungen während der gesamten Betriebslaufzeit.
Zentrale Inhalte:
- Verfahrensvorschlag zur Genehmigung von WEA im Landkreis Osnabrück im Rahmen einer artenschutzrechtlichen Ausnahme.
- Erweiterte Liste zu betrachtender windenergiesensibler Brutvogelarten.
- Methodischer Ansatz zur flexiblen Steuerung anlagenspezifischer Abschaltzeiten auf Grundlage der vorkommenden Arten sowie der Niststätten- und Revierdynamik (extensives Monitoring) über die gesamte Betriebslaufzeit.
- Vorschläge zur Festlegung und Bemessung möglicher funktionserhaltender Maßnahmen (FCS-Maßnahmen) für unvermeidbare Beeinträchtigungen.
Relevanz für die Praxis:
- Der Ansatz wurde bisher in einzelnen Landkreisen Niedersachsens angewendet.
- Mit der Genehmigung im Ausnahmeverfahren sollen Einschränkungen und Defizite einer „herkömmlichen“ Genehmigungspraxis bezüglich signifikant erhöhter Tötungsrisiken gemindert werden. Die Erteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen de facto als Regelfall ist rechtlich jedoch umstritten.
- Der Ansatz bedarfsabhängig nachsteuerbarer Abschaltungen bietet prinzipiell Möglichkeiten für eine flexiblere und damit problemadäquatere Handhabung.
- Die Rechtmäßigkeit der Bemessung von Abschaltkontingenten als Obergrenze in einem Aushandlungsprozess auf Basis der wirtschaftlichen Zumutbarkeit bedarf jedoch weiterer Diskussion und Klärung.
- Die Anwendung setzt eine „Freiwilligkeit“ der Projektierer bzw. Betreiber zur wirtschaftlichen Transparenz voraus.
- Gegen eine breite Anwendung und generelle Übertragbarkeit sprechen eine Reihe noch ungeklärter rechtlicher und fachlicher Fragen.