KollisionsgefÀhrdung von Uhu, Rohrweihe und Wiesenweihe

Frage

Ist es aus fachlicher Sicht korrekt, dass bei BrutplĂ€tzen der Rohrweihe im Nahbereich von Windenergieanlagen auch bei höheren Rotorunterkanten als 30, 50 bzw. 80 Metern kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko anzunehmen ist? Oder trifft dies auf Grundlage der vorliegenden Erkenntnisse nicht vielmehr auf den Uhu zu und mĂŒsste nicht daher der Uhu anstelle der Rohrweihe in der Fußnote in Anlage 1 Abschnitt 1 zu § 45b BNatSchG aufgefĂŒhrt sein?

VollstÀndige Antwort

In Abschnitt 1 der Anlage 1 (zu § 45b Absatz 1 bis 5) BNatSchG heißt es im Kontext der artspezifischen Abstandsangaben fĂŒr die kollisionsgefĂ€hrdeten Brutvogelarten in der Fußnote 1: „Rohrweihe, Wiesenweihe und Uhu sind nur dann kollisionsgefĂ€hrdet, wenn die Höhe der Rotorunterkante in KĂŒstennĂ€he (bis 100 Kilometer) weniger als 30 m, im weiteren Flachland weniger als 50 m oder in hĂŒgeligem GelĂ€nde weniger als 80 m betrĂ€gt. Dies gilt, mit Ausnahme der Rohrweihe, nicht fĂŒr den Nahbereich.“

Das bedeutet, dass bei BrutplĂ€tzen der Rohrweihe, die im Abstand des Nahbereichs zu Windenergieanlagen (WEA) liegen, auch bei höheren Rotorunterkanten, als in der Fußnote angegeben, kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko anzunehmen ist. Bei BrutplĂ€tzen des Uhus und der Wiesenweihe im Nahbereich ist hingegen auch bei höher liegenden Rotorunterkanten ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko anzunehmen.

Es gibt fachliche Hinweise darauf, dass das Gesetz hier einen redaktionellen Fehler enthĂ€lt. Im Kontext des Nahbereichs sollte statt der Rohrweihe der Uhu in der Fußnote genannt werden (vgl. auch FA Wind 2024, S. 16).[1]

Zur ErlĂ€uterung fassen wir unter Punkt 1 den Kenntnisstand zu Flugverhalten und Flughöhen von Rohr- und Wiesenweihen im Zusammenhang mit WEA zusammen. Unter Punkt 2 erlĂ€utern wir den aktuellen Forschungsstand zu Flugverhalten und Flughöhen des Uhus. Ein Fazit und eine ĂŒbersichtliche Tabelle zur abstandsabhĂ€ngigen KollisionsgefĂ€hrdung finden sich unter Punkt 3.

1. Flugverhalten und Flughöhen von Rohr- und Wiesenweihen

In der PROGRESS-Studie wurde festgestellt, dass 12 Prozent der Zeit der beobachteten FlĂŒge von Rohrweihen in Rotorhöhe erfolgten. Oberhalb der Rotorhöhe flogen sie weitere 5 Prozent der Zeit. Die Wiesenweihe verbrachte 6 Prozent der Flugzeit in Rotorhöhe und weitere 4 Prozent darĂŒber (GrĂŒnkorn et al. 2016, S. 121).

Die FlugaktivitĂ€t von Rohr- und Wiesenweihen findet also hauptsĂ€chlich, aber nicht ausschließlich, unterhalb des Rotorbereichs statt.

GrĂŒnkorn et al. (2016) geben zudem artspezifische Hinweise, die unterstreichen, dass bei diesen beiden Weihenarten insbesondere im nahen Nestumfeld – ergo im Abstand des Nahbereichs – eine erhöhte Kollisionsgefahr besteht.

Rohrweihe

„Vor allem in BrutplatznĂ€he muss von einer erhöhten KollisionsgefĂ€hrdung ausgegangen werden, da hier Flugbewegungen auch in grĂ¶ĂŸerer Höhe auftreten können (Thermikkreisen, Balz, Revierverteidigung, NahrungsflĂŒge von/zu entfernter gelegenen Nahrungsgebieten, BeuteĂŒbergabe und Feindabwehr).“ (ebd., S. 258)

Wiesenweihe

„Wiesenweihen sind insbesondere durch WEA in NestnĂ€he einem erhöhten Kollisionsrisiko ausgesetzt (Hötker et al. 2013). Zwar vollziehen sich die JagdflĂŒge hauptsĂ€chlich in BodennĂ€he und damit unterhalb der Rotoren von WEA, es wird jedoch insbesondere in NestnĂ€he auch der höhere Luftraum regelmĂ€ĂŸig genutzt. Das gilt vor allem fĂŒr die sich ĂŒber mehrere Wochen erstreckende Balz‐ und Ansiedlungsphase, aber auch wĂ€hrend der sich anschließenden Brut‐ und Aufzuchtphase.“ (GrĂŒnkorn et al. 2016, S. 256)

2. Kenntnisstand zu Flugverhalten und Flughöhen des Uhus

Mehrere Studien haben das Flugverhalten und die Flughöhen des Uhus untersucht. Es handelt sich um Telemetriestudien und um Studien, die die bestehende Fachliteratur ausgewertet haben. Alle Studien zeigen, dass der Uhu keiner erhöhten Kollisionsgefahr an WEA ausgesetzt ist, wenn durch den Abstand der Rotorunterkante zum Boden ein ausreichend hoher rotorfreier Bereich verbleibt.

In den Jahren 2014 bis 2017 wurden in fĂŒnf BundeslĂ€ndern (Bayern, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und ThĂŒringen) Telemetriestudien mit 15 besenderten Uhus durchgefĂŒhrt. Im Flachland wurden keine Flughöhen ĂŒber 50 Meter festgestellt. Das Flugverhalten auf ebenen HochflĂ€chen im HĂŒgelland glich dem Flugverhalten im Flachland. Die Flughöhen ĂŒber Waldgebieten betrugen etwa 20 bis 40 Meter ĂŒber Grund, wĂ€hrend sie im Offenland meist unter 20 Metern lagen. In Mittelgebirgsrevieren flogen die besenderten Uhus mehrmals ĂŒber 50 Meter ĂŒber dem Boden, besonders bei TransferflĂŒgen von einem Hang zum anderen. Die grĂ¶ĂŸere Flughöhe entstand durch den beim Flug entstehenden Abstand zum Talboden. Es wurden keine aktiven Höhen- oder DistanzflĂŒge wĂ€hrend der Balzphase beobachtet. Die Studie ergab, dass Uhus im Flachland durch moderne WEA mit hohen Rotorzonen nicht kollisionsgefĂ€hrdet sind (Miosga et al. 2019, S.  38 ff.).

In einer weiteren Telemetriestudie wurden von 2017 bis 2018 zehn Altvögel mit Sendern ausgestattet. Die Studie erfolgte in einer reliefarmen Landschaft im nördlichen Schleswig-Holstein. Die GPS-Daten zeigen, dass die Uhus hauptsĂ€chlich in geringer Höhe von durchschnittlich 10,9 Metern fliegen. Lediglich 8,5 Prozent der Flugpositionen lagen ĂŒber 30 Meter und nur 3,3 Prozent ĂŒber 40 Meter Höhe (GrĂŒnkorn und Welcker 2019, S. 39 und S. 41).

Im Laufe des Jahres gab es keine Phasen mit grĂ¶ĂŸeren Flughöhen. Die Autoren stufen das Kollisionsrisiko von Uhus an WEA aufgrund der geringen FlugaktivitĂ€t und der bodennahen Flugweise im reliefarmen Flachland als sehr gering ein. Bei WEA im Flachland mit einer Rotorunterkante von ĂŒber 50 Metern ist ein Kollisionsrisiko „nahezu ausgeschlossen“ (ebd., S. 63).

Mierwald et al. (2017) werteten die ornithologische Fachliteratur auf Beschreibungen des arttypischen Flugverhaltens des Uhus aus. BalzflĂŒge in grĂ¶ĂŸeren Höhen sind danach fĂŒr den Uhu unĂŒblich. WĂ€hrend der Ansitz- und Pirschjagd finden FlĂŒge in BodennĂ€he statt, außer bei TalĂŒberflĂŒgen. DistanzflĂŒge zu weiter entfernten Nahrungsquellen erfolgen normalerweise in Höhen von bis zu 50 Metern ĂŒber dem Boden (ebd., S.  17).

3. Fazit

Die fachlichen Erkenntnisse aus Studien zum Flugverhalten und den Flughöhen des Uhus sowie zur Rohr- und Wiesenweihe sprechen dafĂŒr, den Uhu anstelle der Rohrweihe in Fußnote 1 von Anlage 1 Abschnitt 1 zu § 45b BNatSchG im Zusammenhang mit der Signifikanz im Nahbereich von WEA aufzufĂŒhren.

Der Uhu ist nur kollisionsgefĂ€hrdet, wenn die Rotorunterkante der WEA niedriger als 30 Meter in KĂŒstennĂ€he (bis 100 km), 50 Meter im weiteren Flachland bzw. 80 Meter in hĂŒgeligem GelĂ€nde liegt. Dies gilt sowohl fĂŒr den Nahbereich als auch fĂŒr den zentralen PrĂŒfbereich.

Die Weihenarten sind im Nahbereich unabhĂ€ngig von der Rotorunterkante stets kollisionsgefĂ€hrdet. Im zentralen PrĂŒfbereich besteht – wie beim Uhu – ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko, wenn die Rotorunterkante die genannten Höhen unterschreitet (siehe Tab. 1).

Tabelle 1: Kollisionsrisiko fĂŒr den Uhu, die Rohrweihe und die Wiesenweihe in AbhĂ€ngigkeit von Abstand und Höhe der Rotorunterkante aus fachlicher Sicht („seT“ = signifikant erhöhtes Tötungsrisiko).

Uhu* Rohr- und Wiesenweihe**
Nahbereich

(vorliegendes „seT“ kann nicht widerlegt werden)

„seT“ liegt abhĂ€ngig von der
Rotorunterkante vor, bei:< 30 m in KĂŒstenĂ€he (bis 100 km)< 50 m im weiteren Flachland< 80 m in hĂŒgeligem GelĂ€nde
„seT“ liegt unabhĂ€ngig von der
Rotorunterkante vor
Zentraler PrĂŒfbereich

(Vorliegendes „seT“ kann widerlegt werden)

„seT“ liegt abhĂ€ngig von der
Rotorunterkante vor, bei:
< 30 m in KĂŒstenĂ€he (bis 100 km)
< 50 m im weiteren Flachland
< 80 m in hĂŒgeligem GelĂ€nde

* Nahbereich 500 m, zentraler PrĂŒfbereich 1.000 m.

** Nahbereich 400 m, zentraler PrĂŒfbereich 500 m.

 


 

Quellen

[1] Rechtliche Belege bzw. Auseinandersetzungen mit dieser Aussage finden sich bis dato nicht.


FA Wind − Fachagentur Windenergie an Land (2024): Rundbrief Windenergie und Artenschutz 1/2024. Berlin. 27 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2024).

GrĂŒnkorn, T., Welcker, J. (2019): Erhebung von Grundlagendaten zur AbschĂ€tzung des Kollisionsrisikos von Uhus an Windenergieanlagen im nördlichen Schleswig-Holstein. Endbericht. BioConsult SH GmbH & Co KG, Husum. 124 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2024).

Hötker, H., Krone, O., Nehls, G. (2013): Greifvögel und Windkraftanlagen: Problemanalyse und LösungsvorschlĂ€ge. Schlussbericht. BMUB – Bundesministerium fĂŒr Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Bergenhusen, Berlin, Husum. 337 S.

Mierwald, U., Garniel, A., Wittenberg, R., Wiggershaus, A. (2017): Fachliches Grundsatzgutachten zur Flughöhe des Uhus insbesondere wĂ€hrend der Balz. Im Auftrag des Hessischen Ministeriums fĂŒr Wirtsch. Kieler Institut fĂŒr Landschaftsökologie. 40 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2024).

Miosga, O., BĂ€umer, S., Gerdes, S., KrĂ€mer, D., Ludescher, F.-B., Vohwinkel, R. (2019): Telemetriestudien am Uhu. Natur in NRW 1/2019. Landesamt fĂŒr Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV). 36–40 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 10.06.2024).