Frage
Wie groà ist die Klimaschutzfunktion des Waldes und in welchem Umfang wird der Wald durch die Windenergie in Anspruch genommen? Ist die KohlenstoffbindungskapazitÀt des Waldes nicht viel höher als die durch den Betrieb von Windenergieanlagen vermiedene CO2-Menge?
VollstÀndige Antwort
1. Die Klimaschutzfunktion des Waldes
Durch das Baumwachstum wird der AtmosphĂ€re CO2 entzogen und der darin enthaltene Kohlenstoff in der Biomasse, dem Boden und der Streu gebunden. Dadurch ist der Wald eine Kohlenstoffsenke und hat damit eine bedeutsame Klimaschutzfunktion (BMEL 2021, S. 9). Die GesamtflĂ€che von insgesamt 11,4 Millionen Hektar Wald – etwa ein Drittel der FlĂ€che Deutschlands â speichert in der oberirdischen Biomasse rund 1.230 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Im Totholz und der Humusschicht sind weitere 34 Millionen Tonnen gespeichert. Mine-ralböden und unterirdische Biomasse speichern zusĂ€tzliche 1.335 Millionen Tonnen Kohlenstoff. Insgesamt ergibt dies eine Menge von rund 2,6 Milliarden Tonnen (ebd., S. 13).
Durch Biomassezuwachs werden pro Jahr weitere 57 Millionen Tonnen CO2 gebunden. Durch die Nutzung von Holz fĂŒr langlebige Produkte, wie zum Beispiel Baustoffe oder Möbel, werden weitere 4,2 Millionen Tonnen CO2 jĂ€hrlich gespeichert (ebd. S. 12). BerĂŒcksichtigt man die jĂ€hrlichen Kohlenstoff-Bindungsraten fĂŒr die lebende Biomasse, die Streu und den Boden sowie die Speicherung durch Holzprodukte, kompensieren die deutschen WĂ€lder bis zu 14 Prozent der jĂ€hrlichen nationalen Treibhausgasemissionen (ebd., S. 12 ).[1]
2. Umfang der Waldinanspruchnahme durch die Windenergie
Die GesamtwaldflĂ€che Deutschlands ist zwischen 2008 und 2022 nahezu konstant geblieben und liegt etwa bei 30 Prozent der BundesflĂ€che (Statista 2024, online) â trotz der Realisierung einer Vielzahl von Windenergieanlagen (WEA) im Wald.
Nach Angaben der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind 2023, S. 15) muss fĂŒr eine Windenergieanlage im Wald durchschnittlich eine FlĂ€che von 0,46 Hektar Wald fĂŒr das Fun-dament, KranstellflĂ€che und Zuwegung dauerhaft umgewandelt werden und somit dauerhaft âbaumfreiâ bleiben. Je nach Standort, Anlagentyp, Alter und GröĂe der Anlagen schwankt diese FlĂ€che zwischen 0,04 ha und 1,34 ha[2]. Durchschnittlich werden weitere 0,44 Hektar WaldflĂ€che nur temporĂ€r als Lager- und BauflĂ€chen benötigt. Zusammengenommen betrĂ€gt die durchschnittlich zu rodende FlĂ€che pro WEA mit 0,9 Hektar also etwas unter einem Hektar (ebd., S.15).
FĂŒr die Ende 2022 bundesweit 2.373 auf Waldstandorten betriebenen Windenergieanlagen wurden somit rund 2.136 Hektar Wald in Anspruch genommen, davon 1.092 Hektar dauerhaft (ebd., S. 16). Die dauerhafte Inanspruchnahme von WaldflĂ€chen durch WEA entspricht einem Anteil an der GesamtwaldflĂ€che Deutschlands von lediglich 0,009 Prozent.
Durch die Ausweisung von weiteren WaldflĂ€chen als Windenergiegebiete, insbesondere auch in den waldreichen, sĂŒdlichen BundeslĂ€ndern und der Realisierung von Vorhaben mit wach-senden Anlagendimensionen, dĂŒrfte die Waldinanspruchnahme zwar in den kommenden Jahren noch zunehmen. Bislang ist die Windenergie im Wald allerdings kein Treiber fĂŒr den Verlust an WaldflĂ€chen.
In diesem Zusammenhang ist zu berĂŒcksichtigen, dass WEA zumindest teilweise auf ohnehin nicht bestockten WaldflĂ€chen bzw. auf KalamitĂ€tsflĂ€chen realisiert werden, die bereits gerodet wurden bzw. aufgrund des SchĂ€dlingsbefalls zu roden sind (FA Wind 2023, S. 12). TemporĂ€r beanspruchte WaldflĂ€chen mĂŒssen nach Abschluss der Errichtungsarbeiten wieder aufgeforstet bzw. der Sukzession ĂŒberlassen werden (ebd., S. 14). Dauerhaft beanspruchte WaldumwandlungsflĂ€chen sind in Form von Erstaufforstungen in der Regel 1 zu 1 zu kompensieren. In waldreichen BundeslĂ€ndern kann die dauerhafte Waldinanspruchnahme zum Teil auch durch ökologische WaldumbaumaĂnahmen oder Waldrandgestaltungen ausgeglichen werden (ebd., S. 13).[3]
3. Vergleich der CO2-Speicherleistung des Waldes mit der CO2-Vermeidungsleistung der Windenergie
Um die Menge des gebundenen Kohlenstoffs, die jĂ€hrliche BindungskapazitĂ€t des Waldes und damit die CO2-Speicherleistung des Waldes mit dem CO2-Vermeidungspotenzial der Wind-energie vergleichen zu können, bietet sich eine hektarbezogene Betrachtung von CO2-Ăquivalenten an.[4]
Nach den unter Punkt 1 genannten Zahlen sind pro Hektar Wald umgerechnet durchschnitt-lich 110,9 Tonnen Kohlenstoff oberirdisch (in Biomasse, Humusschicht und Totholz) sowie weitere 117 Tonnen Kohlenstoff unterirdisch (in Mineralboden und unterirdischer Biomasse) gespeichert. Dies entspricht einer oberirdischen Speichermenge von 407 Tonnen CO2 und einer unterirdischen Speichermenge von 429,4 Tonnen CO2.[5] Die jÀhrliche Kohlenstoffspeicherleistung pro Hektar, inklusive der stofflich genutzten Holzprodukte belÀuft sich auf durch-schnittlich 5,4 Tonnen CO2 (ebd., S. 12).
Beim Bau einer WEA bleibt der unterirdische Kohlenstoffspeicher gröĂtenteils bestehen, da die FundamentflĂ€che nur einen kleinen Teil der dauerhaften FlĂ€cheninanspruchnahme ausmacht und der Aushub nach Bodenhorizonten getrennt gelagert und in der Regel ortsnah wieder âverbautâ wird. Damit entfĂ€llt â vereinfacht â nur der oberirdische Kohlenstoffspeicher in Form der oberirdischen Biomasse sowie deren jĂ€hrliche Kohlenstoffspeicherleistung. Diese hat eine Gesamtspeicherleistung von 412,4 Tonnen CO2 pro Hektar.
Diesem Wert kann die CO2-Vermeidungsleistung der Windenergie gegenĂŒbergestellt werden, wie nachfolgend berechnet:
Nach der âEmissionsbilanz erneuerbarer EnergietrĂ€gerâ des Umweltbundesamtes fĂŒr 2022 fĂŒhrten die 28.443 deutschlandweit betriebenen WEA an Land (Lauf et al. 2023, S. 56) zu einer Vermeidung von rund 75,6 Millionen Tonnen an CO2-Ăquivalenten (ebd., S. 59).[6] Die Zahl wurde auf Grundlage der insgesamt von den WEA erzeugten und vermarkteten Strommenge berechnet, die entsprechend die gleiche Strommenge aus konventionellen EnergietrĂ€gern (Kohle und Gas) âverdrĂ€ngtâ. Die Differenz aus der Erzeugung der jeweils emittierten CO2-Ăquivalente ergibt die CO2-Vermeidungsleistung. Dabei werden jeweils auch die Emissionen auf der Herstellungsseite der Anlagen (inkl. der Vorketten) sowie aus der fĂŒr die Errichtung benötigten fremdbezogenen Hilfsenergie berĂŒcksichtigt. Pro WEA ergibt sich eine Menge an vermiedenen CO2-Ăquivalenten von durchschnittlich 2.658 Tonnen.
Ausgehend davon, dass fĂŒr eine WEA auf einem Waldstandort zunĂ€chst knapp ein Hektar Wald in Anspruch genommen wird (s. unter 2.), ĂŒbertraf die CO2-Vermeidungsleistung einer WEA im Jahr 2022 die gesamte CO2-Speicherleistung des in Anspruch genommenen Waldes (412,4 Tonnen) bereits um mehr als das Sechsfache. In jedem Folgejahr nach der Errichtung der WEA standen bzw. steht die CO2-Vermeidung der WEA dann lediglich noch der jĂ€hrlichen CO2-Bindungsleistung des Waldes und des theoretisch entnehmbaren Nutzholzes von 5,4 Tonnen gegenĂŒber â ein VerhĂ€ltnis von 492:1.
Mit weiter zunehmender Anlagenleistung und höheren erzeugten Strommengen dĂŒrfte dieses VerhĂ€ltnis vermutlich zunĂ€chst noch gröĂer werden. WĂ€hrend der obigen Berechnung Durchschnittszahlen zu Grunde liegen, ging das Umweltbundesamt gemÀà eines Correctiv-Faktenchecks zum gleichen Thema bei neueren WEA (auf einem unterdurchschnittlichen Standort) bereits von 3.600 Tonnen jĂ€hrlich vermiedener CO2-Emissionen aus (Correctiv 2019, Aussage am Ende des Faktenchecks).
4. Fazit und Einordnung
Die Windenergie ist nach den Zahlen des Bundesministeriums fĂŒr ErnĂ€hrung und Landwirtschaft (BMEL) sowie der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) und des Bundesverbandes Windenergie (BWE) kein Treiber fĂŒr einen Verlust an WaldflĂ€chen in Deutschland. Die Anlagen werden zumindest teilweise auf ohnehin nicht bestockten FlĂ€chen ohne Baumbewuchs bzw. auf zu rodenden KalamitĂ€tsflĂ€chen errichtet. TemporĂ€r in Anspruch genommene FlĂ€chen mĂŒssen zeitnah wieder aufgeforstet werden, dauerhafte Waldverluste werden und sollten aus Sicht des KNEs auch zukĂŒnftig vorzugsweise durch Erstaufforstungen kompensiert werden, damit die bestockte WaldflĂ€che bilanziell stabil bleibt. Hierbei bietet sich die Chance, dĂŒrreresiliente und naturschutzfachlich wertvolle(re) LaubmischwaldflĂ€chen zu schaffen, und auch die Pachteinnahmen fĂŒr die genutzten WaldflĂ€chen sollten fĂŒr einen klimagerechten Waldumbau genutzt werden (vgl. BWE 2021, S. 21 und 25).
Das KNE hat an anderer Stelle zusammengestellt, was allgemein fĂŒr eine naturvertrĂ€gliche Planung und Errichtung von Windenergieanlagen im Wald beachtet werden muss (KNE 2021) und welche wissenschaftlichen Studien und Veröffentlichungen uns bekannt sind (KNE 2024).
Der Vergleich der durchschnittlichen CO2-Vermeidungsleistung einer WEA mit dem entsprechenden Kohlenstoffbindungsvermögen eines Hektars WaldflĂ€che, die durch diese in Anspruch genommen wird, zeigt, dass erstere bereits im ersten Betriebsjahr mehrfach und in den folgenden Betriebsjahren um ein Vielfaches höher ist. Die Klimaschutzfunktion des Waldes ist daher kein hinreichendes Argument, um Windenergie auf WaldflĂ€chen generell auszuschlieĂen.
Gleichwohl bleibt zu bedenken, dass der Wald auch ein bedeutsamer Lebensraum ist und Regulations- (z. B. als Speicher und Filter) sowie Erholungs- und Schutzfunktionen ĂŒbernimmt. Je nach Waldtyp, Arten- und Altersstruktur der Bestockung sind diese Funktionen stĂ€rker oder schwĂ€cher ausgeprĂ€gt. Dies ist bei der Planung, Realisierung und dem Betrieb von WEA ebenfalls zu berĂŒcksichtigen. WĂ€lder mit besonderer AusprĂ€gung einer oder mehrerer dieser Funktionen können als Schutzgebiete (z. B. NSG, Bann-, Schutz- oder Erholungswald usw.) ausgewiesen bzw. planerisch im Zuge von FlĂ€chenausweisungen von der Windenergienutzung ausgenommen werden.
Quellen
[1] Die Kohlenstoffbindungsleistung dĂŒrfte in den kommenden Jahren sukzessive abnehmen, da groĂe Anteile des deutschen Waldes in den Nachkriegsjahren aufgeforstet wurden und diese WĂ€lder aufgrund ihres Alters mittlerweile abnehmende Holzzuwachs- und damit auch Kohlenstoffbindungsraten aufweisen (BMEL 2021, S. 20).
[2] Der BWE (2019, S. 5) gab auf Basis seinerzeit aktueller Vorhaben 0,7 bis 0,9 Hektar dauerhaft und weitere 0,2 bis 0,5 Hektar temporÀr benötigter FlÀche an.
[3] In einigen BundeslĂ€ndern ist auch ein finanzieller Ausgleich durch Zahlung einer zweckgebundenen WaldÂerhaltungsabgabe möglich, wenn zum Beispiel Ersatzaufforstungen mangels geeigneter FlĂ€chen nicht möglich sind.
[4] Der BWE (2021, S. 10 f.) nimmt ebenfalls eine Bilanzierung vor, allerdings anhand von Gesamtspeicher- bzw. -einsparmengen an CO2 im Jahr 2020. Die Zahlen sind aufgrund anderer ZeitbezĂŒge und anderer zugrunde liegender Quellen nicht mit den nachfolgenden Zahlen vergleichbar.
[5] Ein Kilogramm Kohlenstoff entspricht aufgrund der molaren MassenverhÀltnisse 3,67 Kilogramm Kohlendioxid.
[6] Hierbei wurden auch die vermiedenen CO2-Ăquivalente fĂŒr CH4, SO2 und N2O mit einbezogen.
BMEL â Bundesministerium fĂŒr ErnĂ€hrung und Landwirtschaft (2021): Waldstrategie 2050 – Nachhaltige Waldbewirtschaftung – Herausforderung und Chancen fĂŒr Mensch, Natur und Klima. Bonn. 56 S. Link zum Dokument(letzter Zugriff: 20.02.2024).
BWE â Bundesverband WindEnergie (2021): Windenergie im Forst. Wie Windenergie einen Beitrag zum Waldschutz leistet. Berlin. 25 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.02.2024).
BWE â Bundesverband WindEnergie (2019): Windenergie in NutzwĂ€ldern. Informationspapier. Stand MĂ€rz 2019. Berlin. 8 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.02.2024).
Correctiv (2019): Faktencheck: Nein, der abgeholzte Wald fĂŒr eine Windkraftanlage nimmt nicht mehr CO2 auf, als die Anlage vermeiden kann. Link zur Internetseite (letzter Zugriff: 20.02.2024).
FA Wind â Fachagentur Windenergie an Land (2023): Entwicklung der Windenergie im Wald. Ausbau, planerische Vorgaben und Empfehlungen fĂŒr Windenergiestandorte auf WaldflĂ€chen in den BundeslĂ€ndern. Stand: 03.08.2023. 8. Auflage. 50 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.02.2024).
Lauf, T., Memmler, M., Schneider, S. (2023): Emissionsbilanz erneuerbarer EnergietrĂ€ger. Bestimmung der vermiedenen Emissionen im Jahr 2022. Climate Change 49/2023. UBA â Umweltbundesamt (Hrsg.). 168 S. Link zum Dokument(letzter Zugriff: 20.02.2024).
KNE â Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2024): KNE-Auswahlbibliografie Windenergienutzung auf Waldstandorten. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.02.2024).
KNE â Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2021): Anfrage Nr. 278 zu Studien fĂŒr eine naturvertrĂ€gliche Windenergienutzung auf Waldstandorten (online). Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.02.2024).
Statista (2024): Anteil der WaldflÀche in Deutschland in den Jahren von 2008 bis 2022. Link zur Internetseite (letzter Zugriff: 20.02.2024).