Frage
Welche Rolle spielen die Parameter Niederschlag bzw. Luftfeuchtigkeit bei der Steuerung von Abschaltungen von Windenergieanlagen zum Fledermausschutz? Gibt es wissenschaftliche Grundlagen fĂŒr die BerĂŒcksichtigung dieser Parameter?
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VollstÀndige Antwort
Der Niederschlag bzw. Regen wurde in den ArtenschutzleitfĂ€den mehrerer LĂ€nder im Zusammenhang mit Vorgaben zur Abschaltung von Windenergieanlagen (WEA) zum Fledermausschutz als möglicher zusĂ€tzlicher Steuerungsparameter aufgenommen (s. KNE 2020). Teilweise finden sich auch konkrete Mengenvorgaben, ab denen WEA trotz erfĂŒllter Temperatur- und Windgeschwindigkeitsbedingungen weiterlaufen dĂŒrfen, weil aufgrund des Niederschlags nicht mit FledermausaktivitĂ€t zu rechnen ist (s. u.). Konkrete wissenschaftliche Belege bzw. ErlĂ€uterungen finden sich diesbezĂŒglich in den LeitfĂ€den nur in einigen FĂ€llen (z. B. Behr und Rudolph 2017, S. 13f.). Mitunter wird im Kontext der Parameterangaben fĂŒr pauschale Abschaltungen zum Fledermausschutz auch nur allgemein auf das bzw. die RENEBAT-Forschungsvorhaben[1] verwiesen.
Der Parameter Luftfeuchtigkeit bzw. Vorgaben fĂŒr eine mögliche BerĂŒcksichtigung finden sich bislang in keinem der LĂ€nderleitfĂ€den (ebd.). Ein jĂŒngeres Stellungnahmepapier aus Rheinland-Pfalz, in dem dieser Parameter adressiert wird, ist jedoch ein Indiz dafĂŒr, dass auch dieser Parameter in der Praxis eine gewisse Rolle spielt (s. u.).
In der Praxis wird der Parameter Niederschlag bzw. Regen zumindest bei einem Teil der realisierten Vorhaben berĂŒcksichtigt. In einer nicht reprĂ€sentativen Betreiberumfrage der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind) gaben die antwortenden Betreiber an, in einem guten Drittel der Vorhaben den Niederschlag als Steuerungsparameter anzuwenden. Die Luftfeuchtigkeit wurde fĂŒr fĂŒnf Prozent der Vorhaben als angewendeter Steuerungsparameter angegeben. (FA Wind 2020, S. 16)
Auf Grundlage der Umfrageergebnisse und einer ergĂ€nzenden Auswertung jĂŒngerer Vorhabengenehmigungen ermittelte die FA Wind eine zunehmende BerĂŒcksichtigung des Parameters Niederschlag zur Steuerung der Abschaltungen. FĂŒr die Luftfeuchtigkeit traf dies seinerzeit nicht zu. (ebd., S. 35)
Grundlagen fĂŒr die BerĂŒcksichtigung des Parameters Niederschlag bzw. Regen
Im Forschungsvorhaben RENEBAT I (Brinkmann et al. 2011) wurde die AktivitÀt von FledermÀusen im Rotorbereich von WEA in AbhÀngigkeit von der Jahres- und Nachtzeit, meteorologischen Parametern (Windgeschwindigkeit, Temperatur und auch Niederschlag) gemessen. ZusÀtzlich wurde die FledermausaktivitÀt am Boden gemessen und mittels Schlagopfersuchen auch die GefÀhrdung von FledermÀusen ermittelt, mit dem Rotor zu kollidieren und dadurch zu Tode zu kommen.
Die Untersuchungen zeigten, dass die FledermausaktivitĂ€t schon bei geringen Niederschlagsmengen deutlich abnimmt. Bereits âdie niedrigsten messbaren Niederschlagswerte (Nebel bzw. Wolken mit 0,002 bis 0,004 mm/min) [fĂŒhrten] zu einer starken Abnahme der gemessenen AktivitĂ€tâ (ebd., S. 4f. sowie Behr et al. 2011, S. 179).
Diese wissenschaftlichen Erkenntnisse sind die Grundlage fĂŒr die eingangs dargestellte Aufnahme des Parameters Niederschlag in die LĂ€nderleitfĂ€den und in Folge fĂŒr die Einbeziehung des Parameters in der Praxis. Rechnet man die im RENEBAT-Vorhaben angegebenen Niederschlagswerte auf Stundenwerte um, so erhĂ€lt man Werte von 0,12 bis 0,24 Millimeter pro Stunde.[2]
Der obere Wert spiegelt (abgerundet) den in mehreren LĂ€nderleitfĂ€den enthaltenen Schwellenwert von 0,2 Millimeter Niederschlag pro Stunde wider, ab dem WEA-Abschaltungen zum Fledermausschutz nicht erforderlich sind.[3] DarĂŒber hinaus gibt es LĂ€nder, in denen abweichende Niederschlagswerte angegeben werden bzw. die hier lediglich die allgemeine Vorgabe âkein Regenâ machen. (vgl. KNE 2020).
Die Forschenden des RENEBAT-III-Projektes weisen in Bezug auf die in den RENEBAT-Vorhaben gewonnenen Erkenntnisse darauf hin, dass eine geringere gemessene FledermausaktivitĂ€t bei NiederschlĂ€gen [oder hoher Luftfeuchtigkeit] sowohl auf eine real verminderte AktivitĂ€t der Tiere als auch auf die Erfassungstechnik zurĂŒckzufĂŒhren sein kann. Ultraschallwellen werden mit zunehmender Luftfeuchtigkeit stĂ€rker gedĂ€mpft, wodurch die Reichweite der eingesetzten Mikrofone im Vergleich zu trockener Witterung herabgesetzt ist. (Behr et al. 2018, S. 40ff.). Dennoch ist die ergĂ€nzende Einbeziehung des Parameters Niederschlag bei Fledermausabschaltungen möglich (Naturstiftung David 2023, online).
Eine Schwierigkeit ist im Zusammenhang mit den fĂŒr die Messungen des Niederschlags an den WEA eingesetzten Sensoren bekannt geworden. Standardsensoren arbeiteten oft unzuverlĂ€ssig und lieferten fehlerhafte Werte (FA Wind 2019, S. 16). Teilweise gab es sogar Unterschiede bei den Messwerten zwischen zwei Sensoren des gleichen Typs an derselben WEA (Naturstiftung David 2023, online).[4] Vor diesem Hintergrund empfehlen die Entwickler des Tools ProBat, welches im Kontext der RENEBAT-Forschungsvorhaben entwickelt wurde, bis zum Nachweis der ZuverlĂ€ssigkeit der verwendeten Sensortypen, den deutlich konservativeren Grenzwert von 5 Millimeter pro Stunde anzulegen.[5] (ebd.)
Bei fehlerhaften Messwerten besteht die Gefahr, dass das eigentlich mit den pauschalen bzw. berechneten Abschaltzeiten zu erzielende Schutzniveau fĂŒr FledermĂ€use nicht erreicht wird.
Grundlagen fĂŒr die BerĂŒcksichtigung des Parameters Luftfeuchtigkeit
In Verbindung mit NiederschlÀgen steigt naturgemÀà auch die relative Luftfeuchtigkeit, was nahelegt, diesen Parameter alternativ zu gemessenen Niederschlagswerten zur Steuerung von Abschaltungen mit heranziehen zu können. Andererseits steigt mit sinkenden Temperaturen stets auch die relative Luftfeuchtigkeit. Daher werden nachts hÀufig steigende und insgesamt hÀufiger hohe Luftfeuchtigkeitswerte erreicht, ohne dass dies notwendigerweise durch NiederschlÀge verursacht ist.
Auf Grundlage von Luftfeuchtigkeits-Messwerten kann daher aus unserer Sicht also nicht auf Niederschlagsereignisse und keinesfalls auf Niederschlagsmengen pro Zeit geschlossen werden.
Allerdings könnte es prinzipiell möglich sein, auf Gondelhöhe ermittelte Luftfeuchtigkeitsdaten mit gleichzeitig erhobenen Daten der FledermausaktivitÀt in Beziehung zu setzen. Sind ab einer bestimmten relativen Luftfeuchtigkeit verlÀsslich keine FledermÀuse mehr aktiv, könnte dieser Luftfeuchtigkeitswert als Grenzwertparameter bei der Steuerung von Abschaltungen herangezogen werden.
In den RENEBAT-Forschungsvorhaben wurde der Parameter Luftfeuchtigkeit nicht mit untersucht, weshalb sich hieraus keine Erkenntnisse ableiten lassen. Auch darĂŒber hinaus sind keine publizierten wissenschaftlichen Studien bekannt, die den Einfluss bzw. den Zusammenhang der Luftfeuchtigkeit mit der FledermausaktivitĂ€t im Rotorbereich von Windenergieanlagen untersucht haben.[6] Daher gibt es derzeit auch keine wissenschaftlichen Belege dafĂŒr, dass sich Luftfeuchtigkeits-Messwerte als Steuerungsparameter fĂŒr Abschaltungen eignen.
Der BerĂŒcksichtigung des Parameters Luftfeuchtigkeit in der Praxis (siehe Umfrageergebnisse oben) liegen somit bislang lediglich Erfahrungswerte bzw. Messdaten zu Grunde, die aus der Anwendung entsprechender Sensoren in der Praxis stammen.[7] Eine Stellungnahme des Landesamtes fĂŒr Umwelt aus Rheinland-Pfalz benennt die Messung der Luftfeuchtigkeit dennoch bereits als âetabliertenâ Witterungsparameter zur Steuerung von Abschaltungen, der abweichend von den Erkenntnissen aus RENEBAT III genutzt werden könne und âdie Messung des Niederschlags ersetzenâ könne. In der Praxis seien âbei einer Luftfeuchtigkeit von 84 bis 89 Prozent noch FledermĂ€use nachgewiesenâ worden. (LUA RP 2023, S. 1f.)
Einordnung des KNE
Die GröĂe des Datensatzes, aus der die Wertspanne fĂŒr die FledermausaktivitĂ€t ermittelt wurde, ist nicht bekannt. Zudem ist streng genommen eine Messwertspanne als Grenzwertparameter zur Anlagensteuerung nicht geeignet. Hier mĂŒsste ein konkreter Grenzwert definiert werden. Weiterhin ist nicht bekannt, ob es sich bei den zugrundeliegenden Daten um solche handelt, die auf Höhe der Gondel ermittelt wurden. Dies wĂ€re eine Grundvoraussetzung fĂŒr eine BerĂŒcksichtigung bei der Anlagensteuerung.
Analog zu den bestehenden EinschrĂ€nkungen bei der Messung von Niederschlagswerten ist auch bei der Luftfeuchtigkeit unbekannt, welchen Einfluss die verminderte Reichweite der Mikrofontechnik bei sehr hoher Luftfeuchtigkeit hat und wie verlĂ€sslich die Messdaten bzw. die verwendeten Sensoren sind (Vgl. analog FuĂnote 4).
Aus Sicht des KNE sollten zunĂ€chst weitere Studien durchgefĂŒhrt werden, bevor Luftfeuchtigkeits-Messwerte als Steuerungsparameter beauflagt werden. Anderenfalls könnten â analog zu Niederschlags-Messwerten â Abschaltungen von Windenergieanlagen zum Fledermausschutz nicht hinreichend wirksam sein bzw. das mit den Abschaltungen beabsichtigte Schutzniveau womöglich nicht erreicht werden.
Quellen
[1] RENEBAT I (Brinkmann et al. 2011), RENEBAT II (Behr et al. 2015) und RENEBAT III (Behr et al. 2018).
[2] Zur Orientierung: Der Deutsche Wetterdienst definiert mĂ€Ăigen SprĂŒhregen mit â„ 0,1 mm/h bis < 0,5 mm/h, leichten Regen mit (um circa den Faktor 10 höheren) < 2,5 mm/h bzw. < 0,5 mm/10 Minuten.
[3] Das heiĂt, die Anlagen dĂŒrfen weiterlaufen, auch wenn die Abschaltbedingungen fĂŒr Temperatur und Windgeschwindigkeit auf Gondelhöhe erfĂŒllt sind.
[4] In manchen LeitfĂ€den findet sich daher folgerichtig die ergĂ€nzende Vorgabe, dass eine verlĂ€ssliche Messung sowie â darĂŒber hinaus â eine BerĂŒcksichtigung bei der Anlagensteuerung möglich sein mĂŒssen.
[5] Dies bedeutet, dass es âin einem 10-Minuten-Zeitintervall, mit der IntensitĂ€t 5mm/h regnet, was gleichbedeutend mit einem Wert von 0,083 mm/min istâ.
[6] Eine amerikanische Studie von Squires et al. (2021, S. 3) geht auf der Grundlage Àlterer amerikanischer Studien sogar davon aus, dass die FledermausaktivitÀt und -mortalitÀt der dort vorkommenden Arten an Windenergieanlagen positiv mit der Luftfeuchtigkeit (und der Temperatur) zusammenhingen.
[7] Es gibt Hersteller von Systemen zur Steuerung von Windenergieanlagen und artenschutzbezogenen Abschaltungen, die entsprechende Sensoren optional anbieten (z. B. Fleximaus).
Behr, O., Brinkmann, R., Niermann, I., Korner-Nievergelt, F. (2011). Akustische Erfassung der FledermausaktivitĂ€t an Windenergieanlagen.â In: Brinkmann, R., Behr, O., Niermann, I. Reich, M. (Hrsg.): Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von FledermĂ€usen an Onshore-Windenergieanlagen. Umwelt und Raum 4, Cuvillier Verlag, Göttingen, S. 177-286.
Behr, O., Brinkmann, R., Korner-Nievergelt, F., Nagy, M., Niermann, I., Reich, M., Simon, R. (2015): Reduktion des Kollisionsrisikos von FledermĂ€usen an Onshore-Windenergieanlagen (RENEBAT II). Schriftenreihe Institut fĂŒr Umweltplanung 7. Leibniz UniversitĂ€t, Hannover. 368 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.07.2023).
Behr, O., Brinkmann, R., Korner-Nievergelt, F., Nagy, M., Niermann, I., Reich, M., Simon, R. (2018): Bestimmung des Kollisionsrisikos von FledermĂ€usen an Onshore-Windenergieanlagen in der Planungspraxis (RENEBAT III) – Endbericht des Forschungsvorhabens gefördert durch das Bundesministerium fĂŒr Wirtschaft und Energie (Förderkennzeichen 0327638E). Erlangen, Freiburg, Ettiswil. 415 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.07.2023).
Behr, O., Rudolph, B.-U. (2017): Arbeitshilfe Fledermausschutz und Windkraft Teil 1: Fragen und Antworten â Fachfragen des bayerischen Windenergie-Erlasses. LfU â Bayerisches Landesamt fĂŒr Umwelt (Hrsg.). Augsburg. 28 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.07.2023).
Brinkmann, R., Behr, O., Niermann, I. Reich, M. (Hrsg.) (2011). Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von FledermÀusen an Onshore-Windenergieanlagen. Umwelt und Raum 4, Cuvillier Verlag, Göttingen. 457 S.
FA Wind â Fachagentur Windenergie an Land e.V. (2020): Windenergie und Fledermausschutz. Diskussionsveranstaltung zu aktuellen Erkenntnissen aus Forschung und Praxis. Dokumentation. Berlin. 30 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.07.2023).
FA Wind â Fachagentur Windenergie an Land e.V. (2020): Fledermausschutz an Windenergieanlagen. Ergebnisse einer Betreiberumfrage zum Gondelmonitoring. Berlin. 46 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.07.2023).
KNE â Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2023): Anfrage Nr. 140 Parameter fĂŒr Fledermaus-Abschaltungen in den LĂ€ndern. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 31.10.2023).
LfU RP â Landesamt fĂŒr Umwelt Rheinland-Pfalz (2023): Anforderungen an die Messung der Witterungsparameter zur standortspezifischen und parametergestĂŒtzten Abschaltung von Windenergieanlagen. Mainz. 2 S. Link zum Dokument(letzter Zugriff: 13.07.2023).
Naturstiftung David (2023): HĂ€ufig gestellte Fragen aus dem Umfeld der Windenergiebranche zur ProBat Anwendung â Frage: FlieĂen Niederschlagswerte in die Berechnungen mit ProBat ein? Link zur Internetseite (letzter Zugriff: 13.07.2023).
Squires, K.A., Thurber, B.G., Zimmerling, J.R., Francis, C.M. (2021): Timing and weather offer alternative mitigation strategies for lowering bat mortality at wind energy facilities in Ontario. Animals 11 (12). S. 1â12. Link zum Dokument(letzter Zugriff: 13.07.2023).