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Veröffentlicht
9.05.2022
Schlagworte
  • Klimaschutz
  • Wald
  • Windenergie

Frage

Wie groß ist die Klimaschutzfunktion des Waldes, und ist die Kohlenstoffbindungskapazität der von Windenergieanlagen in Anspruch genommenen Waldfläche nicht viel höher als die durch den Betrieb der Anlage vermiedene CO2-Menge?

!Antwort

Durch den beim Baumwachstum erfolgenden Entzug von Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre und der langfristigen Festlegung von Kohlenstoff in der Biomasse, dem Boden und der Streu ist der Wald eine Kohlenstoffsenke und hat damit eine Klimaschutzfunktion. Sowohl die Bundeswaldinventur von 2012 als auch die Kohlenstoffinventur von 2017 belegen dies eindeutig. Die rund 11,4 Millionen Hektar Wald in Deutschland, von der 95 Prozent forstwirtschaftlich genutzt und knapp 11,1 Millionen Hektar mit Bäumen bestockt ist (die sog. Holzbodenfläche), speicherte 2017 in der lebenden Biomasse rund 1.230 Millionen Tonnen Kohlenstoff, weitere 33,6 Millionen Tonnen im Totholz. (Riedel et al. 2019, S. 15)

Berücksichtigt man die jährlichen Kohlenstoff-Bindungsraten für die lebende Biomasse, die Streu und den Boden, kompensieren die deutschen Wälder sieben Prozent der jährlichen nationalen Treibhausgasemissionen (ebd., S. 17).[1]

1. Veränderung der Waldfläche und Waldinanspruchnahme durch die Windenergie

Die Gesamtwaldfläche Deutschlands ist zwischen 2012 und 2017 nahezu konstant geblieben. Rund 20.000 Hektar Waldumwandlung (überwiegend zur Bebauung und zur landwirtschaftlichen Nutzung) standen 24.000 Hektar neu geschaffener Waldflächen (überwiegend vormals landwirtschaftliche Flächen, Dauergrünland bzw. bebaute Flächen) gegenüber (Riedel und Henning 2019, S. 22).[2] Die Flächenbilanz ist also nahezu ausgeglichen – genau genommen sogar positiv.

Nach neuesten Angaben der Fachagentur Windenergie an Land (FA Wind 2021) muss für eine Windenergieanlage (WEA) im Wald durchschnittlich eine Fläche von 0,46 Hektar für das Fundament, Kranstellfläche und Zuwegung dauerhaft umgewandelt werden und somit „baumfrei“ bleiben.

Weitere 0,4 Hektar werden nur temporär als Lager- und Bauflächen benötigt. Zusammengenommen beträgt die maximal zu rodende Fläche pro WEA also mit 0,86 Hektar etwas unter einem Hektar (ebd., S. 15).[3]

Auf Grundlage der Ende 2020 bundesweit rund 2.100 auf Waldstandorten betriebenen Windenergieanlagen wurden demnach zusammengenommen rund 1.800 Hektar Wald dauerhaft bzw. temporär in Anspruch genommen (ebd., S. 16). Das entspricht einem Anteil an der Gesamtwaldfläche Deutschlands von lediglich 0,016 Prozent.[4]

Dadurch, dass nahezu 90 Prozent der WEA in den Jahren seit 2010 errichtet wurden, ergibt sich eine durchschnittliche jährliche Waldumwandlung durch die Windenergie von unter 90 Hektar. Bezogen auf die Jahre der oben genannten Kohlenstoffinventur von 2012 bis 2017 entspricht das einem Anteil von nur 2,25 Prozent der jährlichen Waldumwandlungsfläche.

Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass WEA zumindest teilweise auf Nichtholzboden-Flächen bzw. auf Kalamitätsflächen, zum Beispiel Windwurfflächen oder aufgrund von Schädlingsbefall ohnehin zu rodenden bzw. bereits gerodeten Flächen realisiert werden. Temporär in Anspruch genommene Flächen sind nach den Landeswaldgesetzen in der Regel zeitnah wiederaufzuforsten und eine Waldumwandlung flächen- bzw. wertgleich durch Schaffung neuer Waldflächen zu kompensieren (FA Wind 2021, S. 13).[5] Im Zuge von Wiederaufforstungen und Ersatzaufforstungen bietet sich zudem die Chance, klimaresiliente und naturschutzfachlich wertvolle Laubmischwaldflächen zu schaffen, und auch die Pachteinnahmen können für einen klimagerechten Waldumbau genutzt werden. (BWE 2021, S. 21 und 25)

Der Bau von WEA trägt also nicht substanziell zur Reduktion der Wald- bzw. Holzbodenfläche bei.

2. Vergleich der Klimaschutzfunktion des Waldes mit dem CO2-Vermeidungspotenzial der Windenergie

Um die Menge des gebundenen Kohlenstoffs und die jährliche Bindungskapazität des Waldes mit dem CO2-Einsparpotenzial der Windenergie vergleichen zu können, bietet sich eine hektarbezogene Betrachtung von CO2-Äquivalenten an.[6]

Gemäß Bundeswaldinventur sind im Wald pro Hektar 105 Tonnen Kohlenstoff in der oberirdischen und unterirdischen Biomasse gespeichert und weitere 76 Tonnen in Mineralböden und Streu (BMEL 2021). Dies entspricht in CO2-Äquivalenten ungefähr 385 Tonnen bzw. 279 Tonnen, woraus sich eine Gesamtmenge von 664 Tonnen pro Hektar ergibt (eigene Berechnung). Diese Menge an CO2 würde jedoch nur bei einer vollständigen Verbrennung bzw. Mineralisation der Biomasse freigesetzt.

Laut Kohlenstoffinventur 2017 wird derzeit zudem jährlich durchschnittlich zirka 1,1 Tonnen Kohlenstoff pro Hektar Wald zusätzlich gespeichert (Riedel et al. 2017, S. 15). Dies entspricht ungefähr weiteren vier Tonnen CO2 pro Hektar und Jahr.

Diesen Werten gegenübergestellt werden kann die CO2-Vermeidungsleistung der Windenergie.

Nach der „Emissionsbilanz erneuerbarer Energieträger“ des Umweltbundesamtes für 2020 führten die etwa 29.600 deutschlandweit betriebenen WEA an Land netto zu einer Vermeidung von rund 81 Millionen Tonnen an CO2-Äquivalenten (Lauf et al. 2021, S. 54).[7] Die Zahl wurde auf Grundlage der insgesamt von den WEA erzeugten und vermarkteten Strommenge berechnet, die entsprechend aus „konventionellen Energieträgern“ erzeugten Strom „verdrängt“. Die Differenz aus mit der Erzeugung jeweils emittierten CO2-Äquivalenten ergibt die CO2-Vermeidungsleistung. Dabei werden jeweils auch die Emissionen auf der Herstellungsseite der Anlagen (inkl. der Vorketten) sowie aus der für die Errichtung benötigten fremdbezogenen Hilfsenergie berücksichtigt. Pro WEA ergibt sich eine Menge an vermiedenen CO2-Äquivalenten von durchschnittlich 2.735 Tonnen.

Ausgehend davon, dass für eine WEA auf einem Waldstandort knapp ein Hektar Wald in Anspruch genommen wird (s. unter 1.), übertraf die CO2-Vermeidungsleistung einer solchen WEA im Jahr 2020 die gesamte „CO2-Speicherleistung“ des Waldes von 668 Tonnen (664 Tonnen lebende Biomasse, Streuauflage, Boden und 4 Tonnen Bindungsleistung eines Jahres) bereits um mehr als das Vierfache. In jedem „Folgejahr“ nach der Errichtung der WEA standen bzw. steht die CO2-Vermeidung der WEA dann lediglich noch der jährlichen CO2-Bindungsleistung des Waldes gegenüber – ein Verhältnis von 684:1.

Mit weiter zunehmender Anlagenleistung und größeren erzeugten Strommengen dürfte dieses Verhältnis vermutlich zunächst noch größer werden. Während der obigen Berechnung Durchschnittszahlen zu Grunde liegen ging das Umweltbundesamt gemäß eines Correctiv-Faktenchecks von 2019 zum gleichen Thema bei neueren WEA (auf einem unterdurchschnittlichen Standort) bereits von 3.600 Tonnen jährlich vermiedener CO2-Emissionen aus (s. Aussage am Ende des Faktenchecks). Diesem Trend entgegen laufen könnten zukünftig allerdings sinkende CO2-Vermeidungspotenziale der Windenergie durch zunehmende Substitution konventioneller Energieträger.

3. Fazit und Einordnung

Der deutsche Wald ist eine bedeutende Kohlenstoffsenke mit erheblichem Kohlenstoffbindungsvermögen und somit entsprechender Bedeutung für den Klimaschutz.

Die Windenergie ist nach den Zahlen der Bundeswald- und der Kohlenstoffinventur sowie der Fachagentur Windenergie an Land und des Bundesverbandes Windenergie kein Treiber für Waldverlust oder Waldumwandlung. Die Anlagen werden zumindest teilweise auf ohnehin unbestockten Flächen bzw. auf zu rodenden Kalamitätsflächen errichtet. Temporär in Anspruch genommene Flächen müssen zeitnah wieder aufgeforstet werden, dauerhafte Waldverluste werden und sollten aus Sicht des KNEs auch zukünftig vorzugsweise durch Ersatzaufforstungen kompensiert werden, damit die Waldfläche bilanziell stabil bleibt.

Der Vergleich der durchschnittlichen CO2-Vermeidungsleistung einer WEA mit dem entsprechenden Kohlenstoffbindungsvermögen der Waldfläche, die durch diese in Anspruch genommen wird, zeigt, dass erstere bereits im ersten Betriebsjahr mehrfach und in den folgenden Betriebsjahren um ein Vielfaches höher ist. Die Klimaschutzfunktion des Waldes ist daher kein hinreichendes Argument, um Windenergie im Nutzwald generell auszuschließen.

Gleichwohl bleibt zu bedenken, dass der Wald auch ein bedeutsamer Lebensraum ist, und Regulations- (z. B. als Speicher und Filter) sowie Erholungs- und Schutzfunktionen übernimmt. Je nach Waldtyp und Arten- und Altersstruktur der Bestockung sind diese Funktionen stärker oder schwächer ausgeprägt. Dies ist bei Planung, Realisierung und Betrieb von WEA ebenfalls zu berücksichtigen. Wälder mit besonderer Ausprägung einer oder mehrerer dieser Funktionen können als Schutzgebiete (z. B. NSG, Bann-, Schutz- oder Erholungswald usw.) ausgewiesen und somit von der Windenergienutzung ausgenommen werden.

Das KNE hat an anderer Stelle zusammengestellt, was allgemein für eine naturverträgliche Planung und Errichtung von Windenergieanlagen im Wald beachtet werden muss und welche relevanten wissenschaftlichen Studien und Veröffentlichungen uns bekannt sind (KNE 2021a und b).

 

[1] Die Kohlenstoffbindungsleistung dürfte in den kommenden Jahren sukzessive abnehmen, da große Anteile des deutschen Waldes in den Nachkriegsjahren aufgeforstet wurden und diese Wälder aufgrund ihres Alters mittlerweile stetig abnehmende Holzzuwachs- und damit auch Kohlenstoffbindungsraten aufweisen.

[2] Darin müsste auch die Waldumwandlung im Kontext der Windenergienutzung enthalten sein. Der Anteil der Windenergie wurde jedoch nicht separat ermittelt. Vor dem Hintergrund der insgesamt durch die in Betrieb befindlichen WEA im Wald dürfte der Anteil jedoch eher gering sein.

[3] Der BWE (2019, S. 5) gab auf Basis seinerzeit aktueller Vorhaben noch 0,7 bis 0,9 Hektar dauerhaft und weitere 0,2 bis 0,5 Hektar temporär benötigter Fläche an.

[4] Der BWE (2021, S. 12 ff.) führt hier niedrigere Zahlen an, da er die temporär in Anspruch genommenen Waldflächen nicht berücksichtigt.

[5] In einigen Bundesländern ist auch ein finanzieller Ausgleich durch Zahlung einer zweckgebundenen Wald­erhaltungsabgabe möglich, wenn zum Beispiel Ersatzaufforstungen mangels geeigneter Flächen nicht möglich sind.

[6] Der BWE (2021, S. 10 f.) nimmt ebenfalls eine Bilanzierung vor, allerdings anhand von Gesamtspeicher- bzw. -einsparmengen an CO2 im Jahr 2020. Die Zahlen sind aufgrund anderer Zeitbezüge und anderer zugrunde liegender Quellen nicht mit den nachfolgenden Zahlen vergleichbar.

[7] Neben rund 76,6 Mio. Tonnen CO2 wurden hierbei auch vermiedene CO2-Äquivalente für CH4 und N2O mit einbezogen.

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Literaturverzeichnis

BMEL (2021): Ausgewählte Ergebnisse der dritten Bundeswaldinventur. Klimaschützer Wald – weiterhin Kohlenstoffsenke. Link zur Internetseite (letzter Zugriff: 09.05.2022).

BWE − Bundesverband WindEnergie (2021): Windenergie im Forst. Wie Windenergie einen Beitrag zum Waldschutz leistet. Berlin. 25 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

BWE − Bundesverband WindEnergie (2019): Windenergie in Nutzwäldern. Informationspapier. Stand März 2019. Berlin. 8 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

FA Wind – Fachagentur Windenergie an Land (2021): Entwicklung der Windenergie im Wald. Ausbau, planerische Vorgaben und Empfehlungen für Windenergiestandorte auf Waldflächen in den Bundesländern. Stand: 10.06.2021. 6. Auflage. 50 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

Lauf, T., Memmler, M., Schneider, S. (2021): Emissionsbilanz erneuerbarer Energieträger. Bestimmung der vermiedenen Emissionen im Jahr 2020. Climate Change 71/2021. UBA – Umweltbundesamt (Hrsg.). 168 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2021a): Anfrage Nr. 278 zu Studien für eine naturverträgliche Windenergienutzung auf Waldstandorten (online). Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

KNE − Kompetenzzentrum Naturschutz und Energiewende (2021b): KNE-Auswahlbibliografie Windenergienutzung auf Waldstandorten. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

Riedel, T., Hennig, P. (2019): Wald- und Holzbodenfläche unverändert. Waldökologie – Kohlenstoffinventur 2017. AFZ – Der Wald 2019 (14). S. 22-23. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

Riedel, T., Stümer, W., Hennig, P., Dunger, K., Bolte, A. (2019): Wälder in Deutschland sind eine wichtige Kohlenstoffsenke. Waldökologie – Kohlenstoffinventur 2017. AFZ – Der Wald 2019 (14). S. 14-18. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).

Schulze, E.-D., Rock, J., Kroiher, F., Egenolf, V., Wellbrock, N., Irslinger, R., Bolte, A., Spellmann, H. (2021): Klimaschutz mit Wald. Speicherung von Kohlenstoff im Ökosystem und Substitution fossiler Brennstoffe. Biologie in unserer Zeit 51 (1). S. 46–54. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 09.05.2022).