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Veröffentlicht
28.08.2019
Schlagworte
  • Fledermäuse
  • Kollisionsrisiko
  • Vögel
  • Windenergie

Frage

Immer wieder wird in den Medien von unterschiedlich großen Zahlen durch Windenergieanlagen getöteter Vögel und Fledermäuse berichtet. Wie ist der tatsächliche Wissensstand zu Schlagopferzahlen, welche Erhebungsmethoden gibt es und wie aussagekräftig sind die Zahlen?

!Antwort

In Medien-Beiträgen zum Thema Windenergie und Naturschutz werden tatsächlich immer wieder hohe Zahlen von Fledermäusen und Vögeln angeführt, die durch Kollisionen mit Windenergieanlagen (WEA) zu Tode kommen (vgl. z. B. GEO Heft 8/2019, Welt online vom 11.02.2015 oder Spiegel online vom 11.02.2015). Mitunter gibt es aber auch Medienbeiträge, die deutlich niedrigere Zahlen anführen (z. B. Beitrag des Magazins „quer“ des Bayerischen Rundfunks vom 26.07.2019 zu Vögeln). Dies führt zu Irritationen, ebenso wie der Versuch, die von unterschiedlichen Nutzungen (u. a. Windenergie, Freileitungen, Verkehr, Gebäudefassaden) verursachten Kollisionen zu vergleichen, zumal hier ganz unterschiedliche Gefährdungsfaktoren vorliegen und unterschiedliche Artengruppen betroffen sind.

Grund dafür ist zum einen, dass Zahlen aus unterschiedlichen Quellen verwendet werden, die zum Teil mit unterschiedlichen Methoden erhoben wurden, so dass sie nicht unmittelbar miteinander vergleichbar sind. Zum anderen basieren die genannten Zahlen zum Teil auf Schätzwerten und Annahmen. Multipliziert man solche Werte dann zum Beispiel mit der Anzahl der WEA in Deutschland, entstehen mitunter hohe Zahlen, ohne dass dabei Kollisionsverminderungsmaßnahmen mit einbezogen werden oder diese Zahlen regionalisiert und im Kontext der Gefährdung der Arten(gruppen) gestellt werden.

Auch muss man sich mit den Grenzen der verfügbaren Methoden der Schlagopferermittlung befassen.

1. Was wissen wir über Schlagopferzahlen an Windenergieanlagen?

Die Frage, wie viele Vögel an WEA kollidieren, kann gegenwärtig fachwissenschaftlich nicht absolut und abschließend beantwortet werden. Es liegen bisher keine bundesweit repräsentativen und im fachwissenschaftlichen Sinne belastbaren und repräsentativen Zahlen vor. Fachexperten, die die bisher umfassendste Schlagopfersuche für Vögel in Deutschland durchgeführt haben, sind zu der Einschätzung gelangt, dass Vogelkollisionen an WEA eher „seltene Ereignisse“ sind (Grünkorn et al. 2016).

Die für Fledermäuse immer wieder zitierte Schlagopferzahl von 250.000 jährlich getöteter Tiere (Voigt et al. 2015, S. 213) beruht zwar ebenfalls auf umfangreichen systematischen Schlagopfersuchen aus einem Forschungsvorhaben (Brinkmann et al. 2011). Aufgrund methodischer Einschränkungen einerseits[1] sowie andererseits dem Umstand, dass die Fundzahlen an WEA ohne die heute weit verbreiteten nächtlichen Fledermaus-Abschaltungen ermittelt wurden, müssen die mehrfach hochgerechneten Zahlen vorsichtig betrachtet werden (vgl. unten).

2. Welche Arten sind potenziell durch Windenergienutzung gefährdet?

Unterschiedliche Untersuchungen (Grünkorn et al. 2016; Zentrale Fundopferdatei der Vogelschutzwarte Brandenburg) belegen, dass einzelne Arten – gemessen an ihren Reproduktionsraten – überproportional häufig kollidieren. Dies ist bei Greif- und Großvögeln der Fall. Beim Schreiadler zum Beispiel kann der Verlust einzelner Individuen bereits erhebliche Auswirkungen auf die (lokale) Population haben.

Bei den Fledermäusen sind insbesondere die im freien Luftraum jagenden und über längere Strecken ziehenden Arten von Kollisionen mit den Rotoren betroffen (Brinkmann et al. 2011, Behr et al. 2015 sowie Vogelschutzwarte Brandenburg online).

3. Welche Bedeutung haben Schlagopferzahlen?

Die Kollisionszahlen werden thematisiert, wenn es darum geht, die von der Windenergienutzung ausgehenden Risiken für den Fortbestand der Vogel- und Fledermausarten zu beziffern. Sie sollen verdeutlichen, dass deren Bestand in Deutschland durch den Betrieb von WEA gefährdet sein kann und dass ggf. Maßnahmen zum Schutz der Arten erforderlich sind. Die Windenergienutzung ist dabei eine von mehreren kumulativ wirkenden Ursachen für den Rückgang einzelner Arten. Es wäre von großem Interesse, die tatsächlichen Risiken der Windenergienutzung für den Fortbestand der Arten zu bestimmen. Das ist bisher aber nicht gelungen.

Bei den Vögeln haben die aus Zufallsfunden ermittelten Schlagopferzahlen sowie die von den Vogelschutzwarten ausgewertete verfügbare Fachliteratur zum Beispiel dazu geführt, dass bestimmte Arten als „WEA-sensible“ Arten gelten (vgl. LAG VSW 2015). Für die derart klassifizierten Arten wird nach dem Ansatz des Helgoländer Papiers (ebd.) angenommen, dass für sie ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko besteht, sobald sich eine WEA innerhalb bestimmter Abstandsradien zu einem Brutplatz befindet. Die aus zufällig ermittelten Schlagopferzahlen abgeleitete WEA-Sensibilität hat somit einen indirekten Einfluss auf den Prüf- und Erfassungsaufwand in Genehmigungsverfahren.

In der Genehmigung von WEA stehen dann nicht Kollisionsraten oder kumulierte Kollisionsopferzahlen, sondern die individuenbezogene Beurteilung, ob sich das Tötungsrisiko durch das geplante Vorhaben signifikant erhöht, im Fokus der Bewertung (vgl. § 44 Abs. 1 Nr. 1 Bundesnaturschutzgesetz).

Zum Fledermausschutz werden – wie oben bereits angedeutet – in der Regel pauschale bzw. standortspezifische Abschaltungen auferlegt, bei denen auf Grundlage der Erkenntnisse aus der Forschung (Brinkmann et al. 2011, Behr et al. 2015 und 2018) davon ausgegangen wird, dass die Kollisionsopferzahl unter zwei bzw. einem Individuum pro Anlage und Jahr gesenkt werden kann und das Tötungsrisiko damit unter der Signifikanzschwelle des § 44 BNatSchG verbleibt.

4. Welche Aussagekraft haben die Zahlen der Fundopferdatei?

Die Schlagopferzahlen der oft (und auch im „quer“-Beitrag) angeführten Fundopferdatei der Vogelschutzwarte Brandenburg beruhen auf Zufallsfunden und größtenteils freiwilligen Meldungen. Die eingehenden Fundmeldungen werden hinsichtlich der Todesursache auf Plausibilität überprüft. Schwierigkeiten bereite dabei mitunter, dass die Fundbedingungen oftmals nicht vollständig dokumentiert werden. Die Intensität der Suchvorgänge sowie die Bereitschaft, Schlagopfer zu melden, seien sehr unterschiedlich. Die Fundopferzahlen bilden demnach nur einen Teil der tatsächlichen Kollisionsopfer ab. Sie sind daher – auch nach Aussage der Herausgeber – für ein Hochrechnungen nicht geeignet. (Vogelschutzwarte Brandenburg online)

Dennoch ermögliche die Datensammlung Aussagen über die unterschiedliche Betroffenheit einzelner Arten, zur Phänologie der Verluste, zu den Auswirkungen einzelner Anlagentypen oder über weitere Einflussfaktoren (ebd).

5. Welche Aussagekraft haben systematische Schlagopfersuchen?

Die systematische Ermittlung von bundesweit gültigen Schlagopferzahlen ist ein sehr aufwendiges Unterfangen. Die umfangreichste bisher in Deutschland durchgeführte systematische Schlagopfererfassung von Vögeln war auf Norddeutschland begrenzt. Die Ergebnisse gelten daher als nicht oder nur eingeschränkt auf das Bundesgebiet übertragbar (vgl. Grünkorn et al. 2016).

Die umfangreichsten systematischen Schlagopfersuchen für Fledermäuse wurden im Rahmen der RENEBAT-Forschungsvorhaben durchgeführt. Die Untersuchung erhob allerdings ebenfalls nicht den Anspruch einer repräsentativen Schlagopferabschätzung für Deutschland. (Brinkmann et al. 2011, Behr et al. 2015)

Bei systematischen Schlagopfersuchen werden (Teil)flächen um WEA standardisiert abgesucht. Dabei ist der Suchaufwand (abzudeckender Suchbereich) im Verhältnis zur Anzahl der im Laufe eines Jahres gefundenen Schlagopfer extrem hoch. Zudem ist die Schlagopfersuche fehleranfällig. Mangelnde Einsehbarkeit und Begehbarkeit des Geländes können das Auffinden erschweren bzw. einschränken. Die spezifische Beschaffenheit des Schlagopfers (insbesondere Größe und Farbe) sowie die Erfahrung des Suchenden spielt beim Auffinden ebenfalls eine Rolle. Zudem können Schlagopfer durch Prädatoren verschleppt werden. Nicht zuletzt kann die Entfernung von der Anlage bei der Auffindbarkeit eine Rolle spielen. Diese Unwägbarkeiten können allerdings durch die Ermittlung und Berücksichtigung von entsprechenden Korrekturfaktoren, wie „absuchbare Fläche“, „Sucheffizienz“ sowie „Verbleiberate“ und „erwartete räumliche Verteilung“ von Schlagopfern, weitestgehend kompensiert werden. (vgl. Grünkorn et al. 2016 sowie Korner-Nievergelt et al. 2013)

Auch systematische Schlagopfersuchen können allerdings lediglich die direkte Mortalität abbilden (unmittelbar tödliche Kollisionen) und nicht die Mortalität infolge von Verletzungen (vgl. Fußnote oben).

Trotz dieser Einschränkung gilt die systematische Schlagopfersuche als die derzeit einzige belastbare Methode, um zu Schlagopferzahlen zu kommen. Technische Systeme, die Kollisionsereignisse an WEA durch Sensoren erfassen, sind noch nicht im Einsatz. Es wird jedoch an deren Entwicklung gearbeitet.

6. Welche Aussagekraft können Hochrechnungen haben?

Hochrechnungen auf der Basis strukturiert erhobener repräsentativer Stichproben (u. a. Berücksichtigung unterschiedlicher Naturräume, Jahreszeiten, WEA-Typen) stellen eine wissenschaftlich anerkannte Herangehensweise dar, um Schlagopferzahlen an WEA zu ermitteln (vgl. Grünkorn et al. 2016, Brinkmann et al. 2011 sowie Korner-Nievergelt et al. 2011 und 2013). Die im Rahmen von systematischen Schlagopfersuchen auf Teilflächen gefundenen Kollisionsopferzahlen werden über statistische Modelle unter Berücksichtigung von Korrekturfaktoren hochgerechnet. Der räumliche Bezugsraum, für den sich jeweils Aussagen treffen lassen, hängt vom Untersuchungsdesign und auch von der Zahl tatsächlich gefundener Schlagopfer ab. [2] Durch die jeweils zu treffenden Annahmen verbleiben aber auch hier Unsicherheiten, die das Ergebnis in die eine oder andere Richtung beeinflussen können. Entsprechende Untersuchungen mit bundesweit repräsentativen Stichproben liegen – wie oben bereits gesagt – nicht vor.

Bundesweite Hochrechnungen auf Grundlage des aktuellen fachlichen Wissensstandes sind also mit sehr großen Unsicherheiten verbunden. Man erlangt durch sie allenfalls Größenordnungen.  Diese sind für sich allein nur eingeschränkt aussagekräftig. Eine Einordnung oder Bewertung von Schlagopferzahlen sollte daher möglichst artspezifisch und anhand von Populationsgrößen und reproduktionsökologischen Eigenschaften der Arten erfolgen. Zudem sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass weder die Artvorkommen, noch die Windenergieanlagen-Standorte homogen über das Bundesgebiet verteilt sind. Eine regionalisierte Betrachtung wäre aus diesen Gründen möglicherweise sachgerechter. Bei Vergleichen von hochgerechneten Verlusten durch verschiedene menschliche Nutzungen sind zusätzlich etwaige unterschiedliche Erhebungsmethoden zu berücksichtigen.

 

[1] Die Schlagopfersuchen erstreckten sich nicht auf den gesamten jährlichen Fledermaus-Aktivitätszeitraum. Auch konnten mittelbare Tötungen durch innere Verletzungen der Tiere, die erst zu einem späteren Zeitpunkt zum Tode führten, nicht berücksichtigt werden.

[2] Grünkorn et al. (2016) nehmen aufgrund der relativen Unsicherheit letztlich nur für neun Vogelarten Kollisionsopfer-Schätzungen für die untersuchten Windparks vor und lediglich für fünf Arten (mit mehr als zehn tatsächlich aufgefundenen Schlagopfern) Schätzungen für das gesamte Projektgebiet (NI, SH, MV und BB).

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Literaturverzeichnis

Behr, O., Brinkmann, R., Korner-Nievergelt, F., Nagy, M., Niermann, I., Reich, M., Simon, R. (Hrsg. . (2015): Reduktion des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen (RENEBAT II). Schriftenreihe Institut für Umweltplanung 7. Leibniz Universität, Hannover. 368 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.09.2019).

Behr, O., Brinkmann, R., Korner-Nievergelt, F., Nagy, M., Niermann, I., Reich, M., Simon, R. (2018): Bestimmung des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen in der Planungspraxis (RENEBAT III) - Endbericht des Forschungsvorhabens gefördert durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (Förderkennzeichen 0327638E). Erlangen, Freiburg, Ettiswil. 415 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.09.2019).

Brinkmann, R., Behr, O., Niermann, I., Reich, M. (2011): Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von Fledermäusen an Onshore-Windenergieanlagen. Umwelt und Raum 4. 1. Auflage. Cuvillier Verlag, Göttingen. 466 S.

Grünkorn, T., Blew, J., Coppack, T., Krüger, O., Nehls, G., Potiek, A., Reichenbach, M., von Rönn, J., Timmermann, H., Weitekamp, S. (2016): Ermittlung der Kollisionsraten von (Greif-)Vögeln und Schaffung planungsbezogener Grundlagen für die Prognose und Bewertung des Kollisionsrisikos durch Windenergieanlagen (PROGRESS). Abschlussbericht. 338 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 12.04.2019).

Korner-Nievergelt, F., Korner-Nievergelt, P., Behr, O., Niermann, I., Brinkmann, R., Hellriegel, B. (2011): A new method to determine bird and bat fatality at wind energy turbines from carcass searches. Wildlife Biology 17 (4). S. 350–363. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 19.09.2019).

Korner-Nievergelt, F., Brinkmann, R., Niermann, I., Behr, O. (2013): Estimating Bat and Bird Mortality Occurring at Wind Energy Turbines from Covariates and Carcass Searches Using Mixture Models. PLoS ONE 8 (7). S. 1–11. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 27.08.2019).

LAG VSW – Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (2015): Abstandsempfehlungen für Windenergieanlagen zu bedeutsamen Vogellebensräumen sowie Brutplätzen ausgewählter Vogelarten. Stand April 2015. 29 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 12.04.2019).

Vogelschutzwarte Brandenburg (online): Zentrale Fundopferdatei. Link zur Internetseite Letzter Zugriff 27.08.2019.

Voigt, C.C., Lehnert, L.S., Petersons, G., Adorf, F., Bach, L. (2015): Wildlife and renewable energy: German politics cross migratory bats. European Journal of Wildlife Research 61 (2). S. 213–219. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 13.09.2019).