Frage
Darf eine Behörde die Koordinaten zu Horststandorten, die einem artenschutzrechtlichen Gutachten eines Antragstellers im Rahmen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens zu entnehmen sind, nach dem Umweltinformationsgesetz herausgeben?
Vollständige Antwort
Nach dem Umweltinformationsgesetz (UIG) hat jede Person einen Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen. Dieser Anspruch ist in § 3 Abs. 1 des UIG des Bundes geregelt. Die Bundesländer haben für Umweltinformationsansprüche gegen Behörden des Landes eigene Umweltinformationsgesetze erlassen oder verweisen auf die Regelungen des Bundesgesetzes. Der Einfachheit halber wird zur Beantwortung der Frage auf das UIG des Bundes verwiesen.
1. Umweltinformation nach dem Umweltinformationsgesetz
Auch artenschutzrechtliche Gutachten und die Koordinaten von Horststandorten fallen unter das UIG. Es handelt sich hierbei um Daten über die Artenvielfalt und ihre Bestandteile im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG. Die unteren Naturschutzbehörden verfügen regelmäßig über diese Informationen. Sie können die Informationen auf unterschiedliche Weise erlangt haben, beispielsweise durch eigene Ermittlungen, eigene beauftragte Gutachten oder durch Mitteilung ehrenamtlicher Ornithologen und freiwilliger Helfer.
Die Behörde erfährt zudem durch Antragsunterlagen von Windenergiefirmen, eingereicht für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung, von Horststandorten. Diesen Anträgen liegen meist umfassende und kostspielige artenschutzfachliche Gutachten bei, die auch etwaige Koordinaten von Horststandorten im Planungsgebiet umfassen. Bezieht sich der Informationsanspruch auf Daten, die von einer Windenergiefirma eingereicht wurden, stellt sich die Frage, ob die Behörde diese Daten ohne Weiteres herausgeben darf. Das Umweltinformationsgesetz trägt solch problematischen Situationen Rechnung, indem es bestimmte Ablehnungsgründe normiert, die auch die Interessen von Privaten schützen. In der geschilderten Konstellation käme der Ablehnungsgrund „Schutz sonstiger Belange“ nach § 9 UIG in Betracht.
2. Urheberrechtliche Fragen (geistiges Eigentum, Erstveröffentlichung)
Nach diesem Ablehnungsgrund (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 UIG) kann die Behörde entscheiden, die begehrten Informationen nicht herauszugeben, wenn dadurch Rechte am geistigen Eigentum, insbesondere Urheberrechte verletzt würden. Allerdings kann der Rechteinhaber einer Informationspreisgabe auch zustimmen oder die Behörde kann entscheiden, dass das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Informationen die Geheimhaltungsinteressen des Rechteinhabers überwiegt. Überwiegt das mit dem Antrag verfolgte öffentliche Interesse darf die Behörde also, obwohl sie damit urheberrechtliche Vorschriften verletzt, Informationen herausgeben.
Insbesondere das Recht an der Erstveröffentlichung ist urheberrechtlich geschützt. Wurden die Informationen in einem vereinfachten Verfahre, ohne Beteiligung der Öffentlichkeit, eingereicht, hat auch noch keine Erstveröffentlichung stattgefunden und dem Rechteinhaber steht dieses Recht der Erstveröffentlichung weiterhin allein zu. Dazu müssen die begehrten Informationen aber auch urheberrechtlichen Schutz genießen. (Stollwerk 2016, S. 541)
Urheberrechtlich geschützt sind solche Informationen, die ein „Werk“ im Sinne des Urheberrechts darstellen. Grundsätzlich können auch Sachverständigengutachten und sonstige genehmigungsrelevante Ausarbeitungen, unter den Werksbegriff des Urheberrechts fallen und daher Urheberrechtsschutz nach § 2 Abs. 2 des Gesetzes über Urheberrecht (UrhG) genießen.
Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos für alle Informationen eines Gutachtens. Die Informationen fallen nur unter den Werksbegriff, wenn die Arbeiten überdurchschnittlich individuell sind und ihnen eine eigene geistige Leistung zugrunde liegt. (Oberverwaltungsgericht (OVG), Münster, Urteil vom 24. November 2017 − 15 A 690/16, Rn. 82, juris) Soweit die Informationen Bewertungen mit prognostischen Elementen enthalten, die qualitativ über eine bloße Datensammlung oder Ähnliches deutlich hinausgehen, handelt es sich um eine solche geistige Leistung. (ebd., Rn. 85, juris) Hier kommt es stets auf eine Bewertung der entsprechenden Informationen im Einzelfall an.
3. Herausgabe von Informationen über Horststandorte
Fraglich ist daher, ob die Preisgabe der Koordinaten von Horststandorten als „Rohdaten“ unter den Werksbegriff des Urheberrechts fallen. Der Standort eines Horstes ist ein Fakt über den Zustand der Umwelt im Planungsgebiet. Gleichwohl ist es nicht jedem Laien möglich, Horststandorte zu ermitteln. Die Ermittlung von Horststandorten erfordert meist mehrere Begehungen des Planungsgebietes durch spezialisierte Gutachter. Die Gutachter ermitteln die Horststandorte und treffen auch darüber hinausgehende Beurteilungen, ob ein Horst beispielsweise aktiv ist oder nicht. Aufgrund artspezifischer Verhaltensweisen können auch Standorte ermittelt werden, an denen ein Verdacht auf einen Horststandort besteht. Unter diesen Gesichtspunkten kann die Ermittlung von Horststandorten einen Vorgang darstellen, der stark von prognostischen Elementen geprägt ist und der über eine schlichte Datensammlung hinausgeht. Hiernach könnte auch die Ermittlung von Horststandorten als eigene geistige Leistung betrachtet werden.
Eine gegenteilige Auffassung vertritt das Verwaltungsgericht (VG) Dresden, welches die Aufzählung und Kartierung der in einem Gebiet vorkommenden Brutvögel nicht als geistiges Eigentum betrachtet. (VG Dresden, Urteil vom 21. April 2016 − 3 K 1371/12 Rn. 83) Letztendlich ist hier eine behördliche Entscheidung bezüglich der begehrten Informationen zu treffen. Die Behörde muss einschätzen und begründen, ob die Ermittlung von Horststandorten eine eigene geistige Leistung darstellt, die unter den Schutz des Urheberrechts fällt, oder ob es sich um eine schlichte Datensammlung handelt, die als Information ohne urheberrechtlich geschützten Charakter betrachtet wird.
4. Abwägung von Geheimhaltungs- und Zugangsinteressen
Geht die Behörde davon aus, dass es sich bei den Informationen zu Horststandorten um urheberrechtlich geschützte Informationen handelt, könnte ein gewährter Informationszugang das dem Rechteinhaber zustehende Erstveröffentlichungsrecht verletzen.
Das UIG gebietet dann gemäß § 9 Abs. 1 eine vollumfängliche Abwägung von Geheimhaltungs- und Zugangsinteressen. Dazu müssen die privaten Geheimhaltungsinteressen im Einzelnen mit den öffentlichen Informationsinteressen abgewogen werden. Nur soweit es sich bei der Einzelabwägung ergibt, dass die öffentlichen Informationsinteressen ein größeres Gewicht als die privaten Geheimhaltungsinteressen haben, kann jenen Interessen der Vorzug gegeben werden. (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschluss vom 21.02.2008 – 20 F 2.07 -, juris Rn. 26) Das öffentliche Interesse an dem Informationszugang überwiegt wiederum nur, wenn mit dem Antrag ein Interesse verfolgt wird, das über das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit, Zugang zu Informationen über die Umwelt zu erhalten, hinausgeht. (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 – 7 C 2.09, juris Rn. 62) Bei der Abwägung dürfen auch die Person des Anfragenden und die Hintergründe der Anfrage berücksichtigt werden. (Agatz 2018, S. 259)
Bei der Abwägung kann entscheidend sein, wer den Informationsanspruch geltend macht. Handelt es sich bei dem Anfragenden um einen Konkurrenten des Rechteinhabers, beispielsweise um einen Vorhabenträger der Windenergie, der auf demselben Gebiet Projekte verwirklichen möchte, handelt er mit seinem Informationsbegehren nicht als Repräsentant der Öffentlichkeit. (OVG Münster, Urteil vom 24.11.2017 – 15 A 690/16) Aufgrund der Stellung als Konkurrent ist davon auszugehen, dass die Bekanntgabe der Daten ausschließlich aus privatwirtschaftlichen Überlegungen gefordert wird.
Handelt es sich bei dem Anfragenden hingegen um einen unbeteiligten Dritten, der Gründe, wie beispielsweise das Interesse an der Aufrechterhaltung der Verbesserung von Leben und Gesundheit der Bevölkerung oder am Schutz der Umwelt vorbringt, kann das öffentliche Interesse in der Abwägung überwiegen, da dieser als Repräsentant der Öffentlichkeit handelt.
5. Rechtsschutzmöglichkeiten
Wenn die Behörde davon ausgeht, dass die Daten keinen urheberrechtlichen Schutz genießen
oder das öffentliche Interesse an der Herausgabe der Daten überwiegt, muss sie den Rechtinhaber über eine geplante Herausgabe der Daten informieren. Dies folgt aus dem grundrechtlich garantierten Grundsatz des effektiven Rechtschutzes. Dem Rechteinhaber muss die Möglichkeit eingeräumt werden, noch vor der Informationserteilung gegen die Entscheidung der Behörde rechtlich vorgehen zu können. (Reidt und Schiller in: Landmann/Rohmer (2017), UIG § 6 Rn. 17) Soweit die Behörde davon ausgeht, dass die Horststandorte als bloße Datensammlung nicht urheberrechtlich geschützt sind und sie daher entscheidet, die Daten herauszugeben, ist die tatsächliche Herausgabe aber erst bei Bestandskraft der behördlichen Entscheidung zulässig, um keine vollendeten Tatsachen zu schaffen. (ebd.)
Quellen
Agatz, M. (2018): Windenergie-Handbuch. 14. Ausgabe. Gelsenkirchen. 370 S. Link zum Dokument, letzter Abruf 04.03.2019.
Landmann, R. von, Rohmer, G. (2016): UmweltR – Umweltrecht. Loseblatt-Kommentar in vier Bänden. 79. Ergänzungslieferung, Stand: Februar 2016. C. H. Beck-Verlag, München.
Stollwerck, C. (2016): Das Umweltinformationsgesetz – Ein praxisorientierter Streifzug, Landes- und Kommunalverwaltung, 2016, S. 538 – 543.
Gerichtliche Entscheidungen
BVerwG, Beschluss vom 21.02.2008 – 20 F 2.07.
BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 – 7 C 2.09.
OVG Münster, Urteil vom 24. November 2017 − 15 A 690/16.
VG Dresden, Urteil vom 21. April 2016 − 3 K 1371/12.