Frage
Wie kommt das Vorsorgeprinzip bei der Beurteilung des signifikant erhöhten Tötungsrisikos zur Anwendung? Ist es z. B. bei Unsicherheiten bezüglich des Sachverhaltes möglich, vorsorglich ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko anzunehmen?
Vollständige Antwort
1. Das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht
Im internationalen Umweltrecht findet das Vorsorgeprinzip Ausdruck in Grundsatz 151 der Rio-Erklärung (1992), zudem ist es auf europäischer Ebene verankert in Art. 191 Abs. 2 S. 2 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV)2. Im deutschen Recht normiert Art. 20 a Grundgesetz (GG)3 einen an den Staat gerichteten Schutzauftrag, der als Vorsorgeprinzip verstanden wird. (Durner 2018 in: Landmann und Rohmer, Umweltrecht 1, Rn. 60) Art. 20 a GG richtet diesen Auftrag dabei explizit auch an die vollziehende Gewalt, mithin an die Exekutive und damit an die Verwaltung. (Murswiek in: Sachs, Art. 20 a GG, Rn. 61) Auf nationaler Ebene findet sich das Vorsorgeprinzip im Umweltrecht (Immissionsschutz, Boden– und Wasserschutz, Luftreinhaltung) wieder. Das Vorsorgeprinzip zielt hier auf eine Minimierung von Umweltbelastungen und Umweltrisiken ab, die über die grundrechtlich gebotene allgemeine Gefahrenabwehr hinausgeht. (Durner 2018 in: Landmann und Rohmer, Umweltrecht 1, Rn. 63)
2. Vorsorge im Natur- und Artenschutz
Das Vorsorgeprinzip ist auch im Natur- und Artenschutz anzuwenden, jedoch fehlt in Bezug auf das Artenschutzrecht eine normative Ausgestaltung, etwa durch Vorsorge- oder Grenzwerte, wie man sie beispielsweise aus dem Immissionsschutz für Lärm oder Schadstoffe kennt. Das Vorsorgeprinzip kommt im Artenschutzrecht vielmehr dadurch zum Tragen, dass man in bestimmten Fallkonstellationen bei Unsicherheit jeweils den „ungünstigsten Fall“ (Worst-Case) annehmen darf.
Nicht nur bei der Eingriffsbewertung, auch bei der Beurteilung des signifikant erhöhten Tötungsrisikos stellt sich die Frage, an welcher Stelle des Prüfablaufs derartige Worst-Case-Annahmen getroffen werden dürfen – und wo nicht.
3. Artenschutzrechtliche Prüfung
Bei unvermeidbaren Eingriffen sowie Vorhaben im Sinne des § 44 Abs. 5 BNatSchG wird eine artenschutzrechtliche Prüfung durchgeführt. Bei der artenschutzrechtlichen Prüfung geht es um die Frage, ob die Verbotstatbestände des § 44 Abs. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) durch das Vorhaben erfüllt werden und der Realisierung des beantragten Vorhabens entgegenstehen. Bei Windenergievorhaben spielt die Frage, ob sie gegen das Tötungsverbot nach § 44 Abs. 1 Nr. 1 verstoßen, eine zentrale Rolle. Das Verbot gilt für streng und besonders geschützte Arten. In Bezug auf die Windenergie sind insbesondere Vogel- und Fledermausarten betroffen. Ein Verstoß gegen das Tötungsverbot gemäß § 44 Abs.1 Nr. 1 BNatSchG wird angenommen, wenn das Tötungsrisiko für Vögel durch Kollision mit der WEA signifikant erhöht wird. Für den unbestimmten Rechtsbegriff „Signifikanz“ gibt es bislang keine konkrete normative Untersetzung (z. B. Schwellenwerte), allenfalls grundlegende Hinweise aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (unter anderem Orientierung am allgemeinen Tötungsrisiko einer Art).
Die materiellen Anforderungen, die sich an die Ausgestaltung der artenschutzrechtlichen Prüfung stellen, werden durch die artenschutzrechtlichen Leitfäden der Länder konkretisiert. Hierin sind Ablauf, Gegenstand der Risikobewertung, Anforderungen an die einzelnen Arbeitsschritte (Erfassung etc.) sowie zulässige Annahmen in der artenschutzrechtlichen Prüfung näher festgelegt. Auf die einzelnen Ausformungen der Regelungen in den Ländern kann hier nicht im Detail eingegangen werden.
Es ist jedoch verbreitete Praxis, dass zur Überbrückung von Prognoseunsicherheiten – sei es bei der Bestandserfassung als auch bei der Beurteilung der Wirksamkeit von Vermeidungsmaßnahmen – mangels vorliegenden bzw. belegbaren Wissens Annahmen getroffen werden können. Diese Annahmen können – wie im Folgenden dargelegt wird – als eine Ausprägung des Vorsorgeprinzips verstanden werden.
4. Vorsorgeaspekte bei der Beurteilung von Tötungsrisiken im Rahmen der artenschutzrechtlichen Prüfung
4.1 Bestandserfassung
Erster Schritt der Bestandserfassung ist die Festlegung, welche Arten im konkreten Fall „planungsrelevant“ sind und erfasst werden müssen. Hierfür wird ein Abgleich zwischen den laut den Anhängen der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) geschützten Arten und den potenziell im Planungsgebiet vorkommenden Arten vorgenommen. Die Bestandserfassung erstreckt sich also auf die Teilmenge der rechtlich geschützten Arten. Die Eingrenzung auf die planungsrelevanten Arten muss plausibel sein. In einem weiteren Schritt kann ferner festgelegt werden, auf welche Arten ein besonderer Fokus zu legen ist.
Im Falle von Windenergieplanungen weisen Vögel und Fledermäuse eine besondere Empfindlichkeit gegenüber dem Betrieb von Windenergieanlagen (WEA) auf.
Für die Vogelarten hat die Länderarbeitsgemeinschaft der Vogelschutzwarten (LAG-VSW) im Jahre 2015 auf Grundlage des bestverfügbaren Wissens und aufgrund von Experteneinschätzungen eine Liste „WEA-sensibler Arten“ erstellt. Die Beurteilung der „WEA-Sensibilität“ stützt sich zum einen auf eine Schlagopfer-Funddatei sowie auf einschlägige fachwissenschaftliche Gutachten (LAG VSW 2015). In Anbetracht der bestehenden Unsicherheiten4 ist zu vermuten, dass bei der vorgenommenen Einschätzung der WEA-Sensibilität auch Vorsorgemaßstäbe angelegt wurden. Für diese Arten gilt die „Regelvermutung“, dass für sie das Tötungsrisiko innerhalb bestimmter Abstandsradien um den Brutstandort signifikant erhöht ist.
Für Fledermäuse gibt es hingegen keine solche Liste der WEA-Sensibilität mit daran geknüpften Regelvermutungen bzw. vorsorglichen Schutzmaßnahmen.
4.2 Durchführung der Bestandserfassung; Nachweis der Arten
4.2.1 Ermittlungsgrundsatz
Für Fachbehörden, die ein Tötungsrisiko zu beurteilen haben, gilt der Ermittlungsgrundsatz. Im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren wird dieser durch die Mitwirkungspflicht des Antragstellers ergänzt, indem der Antragsteller die genehmigungsrelevanten Unterlagen einreichen muss. Aufgrund des Ermittlungsgrundsatzes darf die Behörde bei Unklarheit über das Vorkommen relevanter, WEA-sensibler Arten im Planungsgebiet oder bei einer hohen Prognoseunsicherheit über das Eintreten von Kollisionen oder von Vermeidungseffekten von Maßnahmen nicht vorsorglich zu dem Schluss kommen, dass das Tötungsrisiko signifikant erhöht und das Vorhaben somit zu untersagen sei. Ein erhöhtes Tötungsrisiko kann nicht vorsorglich angenommen werden. (VGH München, Urteil vom 27. Mai 2016 – 22 BV 15.2003, Entscheidungsgründe Nr. 48) Vielmehr muss eine artenschutzrechtliche Prüfung vorgenommen werden.
Auch wenn die Anlage zum Beispiel in einem Schwerpunktvorkommen einer Art oder einem Dichtezentrum liegt, kann sich die Behörde nicht auf den Vorsorgegrundsatz beziehen und eine Pauschalannahme treffen, wonach in diesen Gebieten immer ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vorliege. Grundsätzlich ist es auch in solchen Fällen erforderlich, eine artenschutzrechtliche Prüfung vorzunehmen.
4.2.2 Vorgehen
In einzelnen Fällen kann es sein, dass der Artenbestand nicht ausreichend sicher bestimmt werden kann. So gestaltet sich der Nachweis versteckt lebender Arten nicht immer einfach oder der Nachweis ist nur mit unverhältnismäßig hohem Zeit- und/oder Kostenaufwand möglich. In diesen Fällen ist es zulässig, hilfsweise sogenannte Worst-Case-Annahmen zu treffen. (BVerwG, Urteil vom 09. Juli 2008 − 9 A 14/07, Rn. 63)
Zum einen kann als „Worst-Case“ unterstellt werden, dass bestimmte Arten in dem betroffenen Raum vorkommen, wenn deren Vorkommen nicht zweifelsfrei ausgeschlossen werden kann. (Ruge und Kohls 2015, S. 653) Weitere Ermittlungen sind dann entbehrlich. Worst Case-Annahmen dürfen jedoch nicht eingesetzt werden, um eine unzureichende Sachverhaltsaufklärung zu ersetzen. Sie dürfen nur dort angewendet werden, wo Zweifelsfälle vorliegen (BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 − 9 A 20/05 Rn. 64) oder aber wissenschaftliche Unsicherheiten vorliegen. Anstelle eines positiven Nachweises über das Vorkommen einer Art darf sich die Behörde dann auch auf Indizien wie Habitat- oder Vegetationsstrukturen stützen. (BVerwG, Urteil vom 09. Juli 2008 − 9 A 14/07, Rn. 63)
4.3 Risikobewertung
Das Vorkommen von WEA-sensiblen Arten reicht allein nicht aus, um daraus auf das Vorliegen eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos zu schließen. Damit eine Signifikanz vorliegt, müssen die Arten ungewöhnlich stark von den Risiken eines Vorhabens betroffen sein. Dies ist zum einen der Fall, wenn sie sich häufig im Gefährdungsbereich einer Anlage aufhalten, beispielsweise zur Nahrungssuche oder beim Zug. (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2011 – 9 A 12/10, Rn. 99; Sprötge et al. 2018, S. 34). Zum anderen kann das artspezifische Verhalten zur signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos beitragen.
Bestehen bei der Bewertung der artspezifischen Verhaltensweisen Erkenntnislücken und stößt die fachliche Einschätzung daher an Grenzen5, dürfen ebenfalls Worst-Case-Betrachtungen angestellt werden. Diese können dann zum Beispiel generell von einem risikoerhöhenden Verhalten ausgehen.
Im Fall der Windenergie entspricht die Regelvermutung, dass bei Unterschreitung bestimmter Abstände zwischen WEA und Horst von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko auszugehen ist, einer solchen Worst-Case-Annahme. Dieser Regelvermutung wohnt, wie auch der Einhaltung bestimmter artspezifischer Abstände (vgl. FA Wind 2014, S. 16), ein Vorsorgegedanke inne. Die Einhaltung bestimmter Abstände beispielsweise zwischen Greifvogelhorst und geplanter WEA gilt als ein Mittel, um Kollisionen entgegenzuwirken; sie sind daher Ausdruck der Vorsorge. (OVG Lüneburg, Urteil vom 12. November 2008, 12 LC 72/07, Rn. 68)
Die oben angesprochene Regelvermutung kann allerdings im Einzelfall widerlegt werden. So kann (nach derzeitigem Stand) zum Beispiel durch Raumnutzungsanalysen – oder in einigen Ländern auch durch Habitatpotenzialanalysen – nachgewiesen werden, dass sich betroffene Brutpaare nicht oder nicht so häufig im Gefährdungsbereich der Anlage aufhalten, wie im Rahmen der Regelvermutung (Worst-Case-Annahme) unterstellt.
In den Länderleitfäden wurden für die WEA-sensiblen Arten vielfach Zeiträume (Brut- bzw. Fortpflanzungsperiode) festgelegt, in denen von einer erhöhten Aktivität und somit von einem signifikant erhöhten Tötungsrisiko auszugehen ist. In diesen Fällen kann nicht ohne Weiteres vorsorglich angenommen werden, dass ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko – im Fall einer Überwinterung – auch in den Wintermonaten besteht.
4.3.1 Schutz- bzw. Vermeidungsmaßnahmen
Liegt nach Einschätzung der Behörde ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vor, kommt es für die Zulässigkeit des Vorhabens sodann auf die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen (auch als Vermeidungsmaßnahmen bezeichnet) an.6 Wenn diese Maßnahmen das Tötungsrisiko unter die Schwelle der Signifikanz absenken können, besteht kein artenschutzrechtlicher Konflikt und das Vorhaben wäre insoweit genehmigungsfähig. (BVerwG, Urteil vom 18. März 2009 – 9 A 39/07, Rn. 58)
Im Rahmen der Vorsorge sollen entsprechende Maßnahmen insgesamt dazu beitragen, das Risiko auf ein zumutbares Niveau zu senken. (KOM 2000, S. 23) Ein Nullrisiko muss aber auch nach dem Vorsorgeprinzip nicht angestrebt werden. (KOM 2002, S. 10)
Bei den Schutzmaßnahmen gegen Kollisionen kommen Abschaltungen und/oder Lenkungsmaßnahmen7 in Betracht. In der Festlegung pauschaler Abschaltzeiten (etwa über den gesamten Fortpflanzungszeitraum einer Art oder während bestimmter Flugzeiten) kommt ebenfalls die Vorsorge ins Spiel.
Zwar muss die Wirksamkeit (im Sinne des Maßnahmenerfolgs) bei Schutzmaßnahmen zur Verringerung von signifikant erhöhten Tötungsrisiken nicht wie bei CEF-Maßnahmen zum Zeitpunkt der Genehmigung nachgewiesen sein. Dennoch können Prognoseunsicherheiten über ihre Wirksamkeit bestehen. Eine Möglichkeit, diese zu überbrücken, sind zum Beispiel pauschale Abschaltauflagen, die sich – vorsorglich – über den gesamten Brut- oder Fortpflanzungszeitraum einer Art erstrecken oder gar ganzjährig angeordnet werden.
Einzelne Leitfäden (hier: TLUG 2017) sehen vor, dass bei Prognoseunsicherheiten über die Wirksamkeit von Maßnahmen ein adäquates Monitoring sowie ggf. erforderliche Korrektur- und Vorsorgemaßnahmen in den Genehmigungsbescheid aufzunehmen sind. Ein Monitoring darf aber nicht eingesetzt werden, um Erkenntnisse zu gewinnen, die für die Genehmigungsfähigkeit der Anlage eine Rolle gespielt hätten. Insofern kann es bezogen auf die Wirksamkeit von Schutzmaßnahmen nur eine Optimierung der Bemessung von Schutzmaßnahmen zum Ziel haben.
Ein begleitendes Monitoring kann eingesetzt werden, um den Umfang notwendiger Schutzmaßnahmen und ihre Ausführung näher zu stimmen. So bietet ein sogenanntes Gondelmonitoring zum Beispiel in Bezug auf Fledermäuse die Möglichkeit, pauschale Abschaltzeiten zu spezifizieren und ggf. zu reduzieren. (OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – 12 ME 58/16, Rn. 44)
4.3.2 Signifikanzbeurteilung
Die Beweislast für die hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vorliegt, obliegt der Behörde (Frenz und Müggenborg 2016, § 44 Rn. 4) Es ist daher durch die Behörde zu ermitteln, ob ein artenschutzrechtliches Verbot durch das Vorhaben verwirklicht wird. (Schlacke und (Hrsg.) 2012, § 44, Rn. 9) Grundsätzlich ist die Signifikanz stets in Bezug auf die bestimmte Art und unter Berücksichtigung der spezifischen Standortgegebenheiten im Einzelfall zu bestimmen. Der abschließenden Beurteilung, ob das Vorhaben das Tötungsrisiko für eine geschützte Art signifikant erhöht, gehen die in den vorgenannten Kapiteln genannten Arbeits- und Prüfschritte voraus. Bei diesen Schritten bestehen Möglichkeiten, dem Vorsorgegedanken unter anderem durch Worst Case-Annahmen Rechnung zu tragen.
Ein erhöhtes Tötungsrisiko kann aber nicht vorsorglich angenommen werden. (VGH München, Urteil vom 27. Mai 2016 – 22 BV 15.2003, Entscheidungsgründe Nr. 48) Auch eine Feststellung wie „der Verlust einzelner Exemplare kann grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden“ genügt den rechtlichen Anforderungen an die Signifikanz nicht. (BVerwG, Urteil vom 12. August 2009 – 9A 64/07, Rn. 63; OVG Münster, Urteil vom 29. März 2017 – 11D 70/09, Rn. 582) Wenn das Tötungsrisiko nicht signifikant erhöht ist, können auch keine vorsorglichen Abstände, Abschaltzeiten oder andere Vermeidungsmaßnahmen verpflichtend einzuhalten sein.
Wie oben bereits erwähnt, ist für eine Vorhabenzulassung nicht zwingend ein Nullrisiko anzustreben. (KOM 2002, S. 10) Die Rechtsprechung zum Signifikanzansatz hält ein Risikolevel für zumutbar, das mit dem Risikolevel, dem sich die Art ohnehin in einer vom Menschen geprägten Umwelt ausgesetzt sieht, vergleichbar ist. (hierzu: Gläß in: Giesberts und Reinhardt, BNatSchG 2018 § 44, Rn. 16) An dieser Stelle der Beurteilung kann also nicht die Vorsorge der Maßstab sein. Das Risiko muss gegenüber dem natürlichen Lebensrisiko auch nach Durchführung (vorsorglicher) Schutzmaßnahmen deutlich erhöht sein, wenn der Verbotstatbestand erfüllt sein soll.
5. Zusammenfassung und Fazit
Es obliegt der Behörde festzustellen, ob ein artenschutzrechtliches Verbot durch das Vorhaben verwirklicht wird. (Schütte und Gerbig in: Schlacke 2012, § 44, Rn. 9) Bei der Prüfung, ob ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko (durch Kollision) vorliegt, besteht an mehreren Stellen im Arbeits- und Prüfprozess die Möglichkeit vorsorglich Annahmen zu treffen, die das hohe Schutzniveau der Arten sichern sollen.
Ihrer Ermittlungs- und Prüfpflicht wird eine Behörde allerdings nicht gerecht, wenn sie vorsorglich von einer signifikanten Erhöhung des Tötungsrisikos ausgeht. Der Vorsorgegedanke kann zwar jeweils bei den einzelnen Prüfschritten zum Tragen kommen, nicht aber bei der behördlichen Abschlussentscheidung, ob die Signifikanz vorliegt oder nicht.
Die EU-Kommission möchte zudem verhindern, dass auf das Vorsorgeprinzip als Vorwand für protektionistische Maßnahmen zurückgegriffen wird. (KOM 2000, S. 3) Daher ist es auch aus europäischer Sicht zwingend, dass die einzelnen Prüfschritte, die zur Bestimmung der Signifikanz notwendig sind, eingehalten werden und keine pauschale Annahme der Signifikanz aus Vorsorgeerwägungen erfolgt.
Quellen
[1] Dieser lautet: „Zum Schutz der Umwelt wenden die Staaten im Rahmen ihrer Möglichkeiten allgemein den Vorsorgegrundsatz an. Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Maßnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben.“
[2] Hier heißt es: „Die Umweltpolitik der Union zielt unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Gegebenheiten in den einzelnen Regionen der Union auf ein hohes Schutzniveau ab. Sie beruht auf den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung, auf dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen, sowie auf dem Verursacherprinzip.“
[3] Dieser lautet: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
[4] Zu nennen sind hier die unvollständige Wissenslage (Schlagopferfunde), die begrenzte Prognostizierbarkeit der artspezifischen Verhaltensweisen (Kollisionsrisiko) und die z. T. ungünstige Bestandsentwicklung der Arten in Deutschland, die zu einer vorsorglichen Empfindlichkeitseinstufung führen.
[5] Bei Zugvögeln beispielsweise können Flugrouten nicht oder nur unvollständig bekannt sein. (Ruge und Kohls 2015, S. 653)
[6] Wenn allerdings keine tragfähigen Anhaltspunkte für die signifikante Steigerung des Tötungsrisikos im Rahmen der Risikobewertung ausgemacht werden, sind Schutzmaßnahmen auch nicht erforderlich. (Sprötge et al. 2018, S. 35 f.)
[7] Durch Lenkungsmaßnahmen – etwa ein verbessertes Nahrungsangebot – soll die Aktivität der Vögel aus dem Gefahrenbereich auf weiter entfernt liegende Flächen verlagert werden. Unterstützend ist der Mastfußbereich zugleich möglichst unattraktiv für Beutegreifer zu gestalten.
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Gerichtliche Entscheidungen
Beschluss vom 23. Januar 2015 – 7 VR 6/14.
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BVerwG, Urteil vom 12. August 2009 – 9A 64/07.
BVerwG, Urteil vom 14. Juli 2011 – 9 A 12/10.
BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2007 − 9 A 20/05.
BVerwG, Urteil vom 18. März 2009 – 9 A 39/07.
OVG Lüneburg, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – 12 ME 58/16.
OVG Münster, Urteil vom 29. März 2017 – 11D 70/09.
VGH München, Urteil vom 27. Mai 2016 – 22 BV 15.2003.