Kollisionsrisiko von bodennah fliegenden Fledermausarten an Windenergieanlagen

Frage

Welche Fledermausarten zĂ€hlen zu den bodennah fliegenden Arten und welche Erkenntnisse zum Kollisionsrisiko dieser Arten gibt es? Gibt es bereits Gerichtsurteile, die eine Pflicht begrĂŒnden, bodennah fliegende Arten im Hinblick auf Kollisionen mit Windenergieanlagen zu berĂŒcksichtigen?

VollstÀndige Antwort

1. Bodennah fliegende Fledermausarten

Nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es bei den in Deutschland vorkommenden Fledermausarten keine Klassifikation als „bodennah fliegende“ Arten.

Unterschieden wird vielmehr zwischen Arten, die beim Flug (bei der Jagd und beim Zug) ĂŒberwiegend den freien Luftraum nutzen[1] – zum Teil bis in Höhen von 100 Metern und darĂŒber hinaus – und solchen Arten, die ein stĂ€rker „strukturgebundenes“ Flugverhalten aufweisen und somit in der Regel niedriger fliegen. Strukturgebunden heißt, dass sich die FledermĂ€use im Flug an horizontalen und vertikalen Landschafts- bzw. Vegetationsstrukturen orientieren und daher nah an diesen Strukturen entlang fliegen. Unter den strukturgebunden fliegenden Arten gibt es allerdings einige Arten, die zeitweise auch im freien Luftraum aktiv sind, d. h. sich von den Strukturen wegbewegen.[2]

Angaben zu artspezifischen Flughöhen und zum Flugverhalten finden sich – vornehmlich im Zusammenhang mit dem Nahrungserwerb (JagdflĂŒgen) – zum Beispiel im Handbuch der FledermĂ€use von Dietz et al. (2007) sowie auch in einzelnen ArtenschutzleitfĂ€den fĂŒr FledermĂ€use bei Windenergievorhaben (z. B. Artsteckbriefe in ITN 2015 fĂŒr ThĂŒringen).

Die untenstehende Tabelle listet die Fledermausarten auf, fĂŒr die in mindestens einer der genannten Quellen ein „bodennaher Flug“ oder ein „Flug in geringer Höhe“ angegeben wird. Nur wenige dieser Arten fliegen jedoch ausschließlich bzw. vornehmlich bodennah (s. in Fettschrift gehaltene Artnamen). Die ĂŒbrigen Arten sind auch bis in die Höhe der Baumkronen bzw. nahe ĂŒber den Baumkronen aktiv.

FĂŒr die meisten der aufgefĂŒhrten Arten gibt es darĂŒber hinaus gesicherte Nachweise, dass sie auch oberhalb der Baumkronen, bis zu 40 Metern bzw. bis in Rotorhöhe fliegen (vgl. Angaben zu maximalen Flughöhen in Rodrigues et al. 2014, S. 136 f.). Aus den Zahlen geht allerdings nicht hervor, wie hĂ€ufig beziehungsweise  wie lange die Arten in diesen Höhen aktiv sind. Dies dĂŒrfte jedoch im Hinblick auf das Risiko fĂŒr FledermĂ€use, mit Windenergieanlagen zu kollidieren, eine wesentliche Rolle spielen (siehe nachfolgend).

2. Kollisionsrisiko bodennah aktiver FledermÀuse an WEA

Um die allgemeine KollisionsgefĂ€hrdung von FledermĂ€usen an Windenergieanlagen (WEA) zu bewerten, gelten die Flughöhen der Fledermausarten als ein wesentliches Kriterium. Maßgeblich sind dabei Flughöhen, in denen die Tiere ausschließlich oder ganz ĂŒberwiegend aktiv sind (z. B. bei der Jagd oder beim Zug). Weitere Kriterien sind die Strukturgebundenheit beim Flug, die GrĂ¶ĂŸe der nĂ€chtlichen und saisonalen AktionsrĂ€ume sowie ggf. weitere artspezifische Flugverhaltensweisen (z. B. das Erkundungsverhalten oder das SchwĂ€rmen). Zahlen zu aufgefundenen Fledermaus-Schlagopfern an WEA stellen weitere Indizien dar. Die Schlagopfer werden entweder im Rahmen von systematischen Schlagopfersuchen ermittelt (z. B. in Forschungsprojekten) oder stammen aus Zufallsfunden. In der Fundopferdatei der Vogelschutzwarte Brandenburg (sog. DĂŒrr-Liste) werden sowohl systematische Funde als auch Zufallsfunde registriert.[3] Informationen ĂŒber maximal nachgewiesene Flughöhen von Fledermausarten können sicherlich einzelne nachgewiesene Kollisionen von ĂŒblicherweise deutlich niedriger fliegenden Arten erklĂ€ren. Aus maximalen Flughöhen können jedoch keine RĂŒckschlĂŒsse auf ein generell erhöhtes Kollisionsrisiko gezogen werden.

Studien zum Kollisionsrisiko speziell der bodennah aktiven Fledermausarten sind nicht bekannt. Die sogenannten RENEBAT-Forschungsvorhaben zur Verminderung von Kollisionsrisiken und Kollisionsopferzahlen bei FledermÀusen an WEA betrachteten jedoch das gesamte Artenspektrum der FledermÀuse, also auch die strukturgebunden niedrig fliegenden Arten. Im Rahmen der Vorhaben konnten somit auch Erkenntnisse zu Flughöhen von Fledermausarten ermittelt werden.

Ein zentrales Ergebnis der Forschungsvorhaben war ein signifikanter Zusammenhang zwischen FledermausaktivitĂ€t in Gondelhöhe und Schlagopferfunden. Bei den umfangreichen systematischen Schlagopfersuchen wurden – mit Ausnahme der MĂŒckenfledermaus – keine Schlagopfer der in Tabelle 1 aufgefĂŒhrten bodennah aktiven Arten gefunden. Entsprechend registrierten die Forscher bei der akustischen Erfassung der FledermĂ€use im Rotorbereich unterhalb der Gondel diese Arten auch nur sehr selten. (vgl. Brinkmann et al. 2011, Behr et al. 2015 und Behr et al. 2018)

Auch die umfangreichen Auswertungen akustischer Erfassungsdaten in Gondelhöhe im Forschungsvorhaben von WEA im Wald und im Offenland durch Reichenbach et al. (2015) ergaben nur sehr vereinzelte Nachweise (33 bzw. 58 von 200.000 Aufnahmen) von Arten der Gattungen Myotis und Plecotus (ebd., S. 126).

Im Rahmen eines weiteren Forschungsvorhabens zu FledermĂ€usen und WEA im Wald (Hurst et al. 2016) wurde die FledermausaktivitĂ€t an Windmessmasten in unterschiedlichen Höhen (fĂŒnf Meter, 50 Meter und 100 Meter) akustisch erfasst und zusammenfassend analysiert. Die Auswertung ergab, dass bei den Myotis-Arten ĂŒber 99 Prozent der Aufnahmen in fĂŒnf Metern Höhe gemacht wurden. Nur insgesamt 0,6 Prozent entfielen auf die Höhen 50 und 100 Meter. Die Plecotus-Arten und die Mopsfledermaus wurden in 50 Metern Höhe gar nicht nachgewiesen. Bei der MĂŒckenfledermaus entfielen je acht Prozent der Aufnahmen auf die Höhen von 50 und 100 Metern, wobei es sich hier jeweils um drei von insgesamt nur 36 Aufnahmen handelte – ein Anteil von nur 0,08 Prozent der insgesamt aufgenommenen Rufe. Es zeigte sich also auch hier, dass die betreffenden Arten nur sehr selten in Höhen von 50 Metern und höher aktiv sind (ebd., S. 165).

FĂŒr die Mopsfledermaus konnten die Erkenntnisse durch entsprechende Untersuchungen in mehreren Wochenstubengebieten untermauert werden, bei denen Aufnahmen in 30 Metern Höhe nur gelegentlich auftraten, in 50 und 60 Metern Höhe jedoch die absolute Ausnahme waren (ebd., S. 225f.).

Auf Grundlage der Erkenntnisse aus den eigenen Untersuchungen und einer Literaturauswertung zu den oben genannten Kriterien fĂŒr die Bewertung des Kollisionsrisikos wurde von den Autorinnen und Autoren eine artspezifische Bewertung fĂŒr WEA-Vorhaben auf Waldstandorten vorgenommen. Diese sind in Artsteckbriefen im Internet verfĂŒgbar.[4] Mit Ausnahme der MĂŒckenfledermaus wird eine BeeintrĂ€chtigung der bodennah aktiven FledermĂ€use durch ein erhöhtes Kollisionsrisiko als unwahrscheinlich angesehen, sofern der ĂŒbliche Rotorabstand von der Waldoberkante 50 Meter nicht unterschreitet (s. auch Hurst et al. 2016, S. 28 f.).

Die Bewertungen werden in der untenstehenden Tabelle zusĂ€tzlich zu entsprechenden Bewertungen in den Artsteckbriefen von ITN (2015) aufgefĂŒhrt. Aus Sicht des KNE dĂŒrfte die Bewertung gleichermaßen auf Offenlandstandorte ĂŒbertragbar sein, wenn hier der gleiche Höhenabstand zur den Anlagenstandort umgebenden Vegetation eingehalten wird.

Tabelle 1: Flughöhen und Flugverhalten sowie Kollisionsrisiko bodennah aktiver FledermÀuse[5]

* Myotis- und Plecotus-Arten werden in geringem Abstand von der Waldoberkannte nur gelegentlich detektiert.

** Erhöhtes Kollisionsrisiko ist vor allem im Umfeld von Wochenstuben-, Paarungs- und Einzelquartieren in gewĂ€sserreichen Regionen in tiefen bis mittleren Lagen bis ca. 600 Meter ĂŒ. NN, von Einzeltieren auch in höheren Lagen der Mittelgebirge.

3. Gerichtsurteile zur BerĂŒcksichtigungspflicht bodennah aktiver FledermĂ€use

Eine ĂŒberschlĂ€gige bundesweite Recherche in den Rechtsdatenbanken „Juris“ und „beck online“ zu veröffentlichten Gerichtsurteilen, in denen es um das Kollisionsrisiko bodennah aktiver FledermĂ€use und einer Pflicht zur BerĂŒcksichtigung aus diesem Grunde ging, ergab nur einen einzigen Treffer.

In dem Verfahren beschloss das Oberverwaltungsgericht LĂŒneburg, dass „angesichts der regelmĂ€ĂŸigen Flughöhen des Großen Mausohrs von unter 20 m und der Höhe der WEA mit einem Bodenabstand des Rotors von ĂŒber 80 Metern keine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos durch eine SchlaggefĂ€hrdung besteht.“ (OVG LĂŒneburg, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 12 LA 74/15 –, Rn. 31, juris)

Quellen

[1] Zu diesen Arten gehören der Große Abendsegler (Nyctalus noctula) und der kleine Abendsegler (Nyctalus leisleri).

[2] Hierunter fallen zum Beispiel die Zwergfledermaus (Pipistrellus pipistrellus) und die Rauhautfledermaus (Pipistrellus nathusii).

[3] Die Zahlen der Fundopferdatei stellen zwar kein wissenschaftlich abgesichertes Wissen dar, jedoch sozusagen das bestverfĂŒgbare Wissen. RegelmĂ€ĂŸig aktualisierter Stand unter: https://lfu.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.312579.de.

[4] http://www.frinat.de/index.php/de/artsteckbriefe.

[5] Die Angaben von Hurst et al. (2016) beziehen sich auf WEA mit dem â€žĂŒblichen“ Abstand von mindestens 50 Metern zur Waldoberkante. Wird dieser Abstand unterschritten, so sind gelegentliche Kollisionen der sonst ungefĂ€hrdeten Arten möglich (Hurst et al. 2016, S. 28).


Behr, O., Brinkmann, R., Korner-Nievergelt, F., Nagy, M., Niermann, I., Reich, M., Simon, R. (Hrsg.) (2015): Reduktion des Kollisionsrisikos von FledermĂ€usen an Onshore-Windenergieanlagen (RENEBAT II). Schriftenreihe Institut fĂŒr Umweltplanung 7. Leibniz UniversitĂ€t, Hannover. 368 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.03.2019).

Behr, O., Brinkmann, R., Korner-Nievergelt, F., Nagy, M., Niermann, I., Reich, M., Simon, R. (Hrsg.) (2018): Bestimmung des Kollisionsrisikos von FledermĂ€usen an Onshore-Windenergieanlagen in der Planungspraxis (RENEBAT III) – Endbericht des Forschungsvorhabens gefördert durch das Bundesministerium fĂŒr Wirtschaft und Energie (Förderkennzeichen 0327638E). Erlangen, Freiburg, Ettiswil. 415 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.03.2019).

Brinkmann, R., Behr, O., Niermann, I., Reich, M. (2011): Entwicklung von Methoden zur Untersuchung und Reduktion des Kollisionsrisikos von FledermÀusen an Onshore-Windenergieanlagen. Umwelt und Raum 4. 1. Auflage. Cuvillier Verlag, Göttingen. 466 S.

Dietz, M., Krannich, E., Weitzel, M. (2015): Arbeitshilfe zur BerĂŒcksichtigung des Fledermausschutzes bei der Genehmigung von Windenergieanlagen (WEA) in ThĂŒringen. ThĂŒringer Landesanstalt fĂŒr Umwelt und Geologie, Gonterskirchen. 121 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.03.2019).

Hurst, J., Biedermann, M., Dietz, C., Dietz, M., Karst, I., Krannich, E., Petermann, R., Schorcht, W., Brinkmann, R. (2016): FledermÀuse und Windkraft im Wald. Naturschutz und Biologische Vielfalt 153. Bonn-Bad Godesberg. 400 S.

Reichenbach, M., Brinkmann, R., Kohnen, A., Köppel, J., Menke, K., Ohlenburg, H., Reers, H., Steinborn, H., Warnke, M. (2015): Bau- und Betriebsmonitoring von Windenergieanlagen im Wald. Abschlussbericht vom 30.11.2015. Oldenburg. 351 S. Link zum Dokument (letzter Zugriff: 20.03.2019).

Rodrigues, L., L. Bach, M.-J. Dubourg-Savage, B. KarapandĆŸa, D. Kovac˘, T.K., J. Dekker, A. Kepel, P. Bach, J. Collins, C. Harbusch, K. Park, B. Micevski, J.M. (2014): Leitfaden fĂŒr die BerĂŒcksichtigung von FledermĂ€usen bei Windenergieprojekten – Überarbeitung 2014. EUROBATS Publication Series No. 6 (deutsche Ausgabe). UNEP/EUROBATS Sekretariat (Hrsg.). Bonn. 146 S.

Gerichtliche Entscheidungen

OVG LĂŒneburg, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 12 LA 74/15 –, Rn. 31, juris.