Umweltbewegung im Wandel
Unabhängiges Institut für Umweltfragen e. V. (Hrsg.) (2024): Struktur, Strategie und Bewegung – Entwicklung der Umweltorganisationen in Deutschland seit 2000
Hohe Mitgliederzahlen, aber sinkender Einfluss? Umweltverbände und -gruppen in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen. Eine Studie analysiert die vergangenen 25 Jahre, nimmt etablierte, aber auch neuere Bewegungen in den Blick und entwirft Zukunftsszenarien.
In Deutschland gibt es rund 616.000 Vereine. Fünf Prozent davon – also knapp 33.000 – widmen sich hauptsächlich dem Umwelt- und Naturschutz. Zu ihnen gehören große Akteure wie BUND, Greenpeace, WWF oder die Grüne Liga, aber auch neuere Organisationen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion oder die Letzte Generation. Die Publikation „Struktur, Strategie und Bewegung. Entwicklung der Umweltorganisationen seit 2000“ des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen e. V. (UfU) wirft einen eingehenden Blick auf diese Organisationen: Wie haben sie sich in den vergangenen Jahren entwickelt? Worin liegen ihre größten Herausforderungen? Und welche Zukunftsstrategien verfolgen sie?
Ankerpunkt fĂĽr eine tief verunsicherte Gesellschaft
Etwa 830.000 Menschen organisieren sich allein im NABU, der damit mehr Mitglieder als die beiden mitgliederstärksten Parteien Deutschlands hat: CDU und SPD haben zusammen rund 800.000 Parteimitglieder. Doch trotz hoher Mitglieder- und Fördererzahlen gelangen die Umweltverbände mit ihrer Funktion als gesellschaftliche Gestalter heute an ihre Grenzen. Es falle ihnen zunehmend schwer, mit ihren Anliegen und Zielen Gehör in den gesellschaftlichen Debatten zu finden, so die Autorinnen und Autoren der Studie, die Daten zu Mitgliederzahlen, Mitarbeitenden, Finanzen und Themenschwerpunkten analysiert und auch Interviews mit zahlreichen Akteuren geführt haben.
Trotz oder gerade auch wegen sich beschleunigender Umweltkrisen, des fortschreitenden Klimawandels und des Verlusts von biologischer Vielfalt sucht die Umweltbewegung nach neuen Wegen, um in einer tief verunsicherten Gesellschaft ein Ankerpunkt für engagierte Menschen zu bleiben und das Leitbild einer sozial-ökologischen Transformation mit Leben zu füllen.
Neue Akteure, neue Dynamiken
Ein eigenes Kapitel widmet die Studie den neuen Akteuren der Umweltbewegung. Mit einem Schulstreik startete die schwedische Aktivistin Greta Thunberg 2018 die Klimastreik-Bewegung „Fridays for Future“, die vor allem 2019 weltweit Millionen von Menschen dazu mobilisierte, für Klimaschutz auf die Straße zu gehen. Doch schon 2020 flachte der Protest ab und verschob sich – auch wegen der Corona-Pandemie – in den digitalen Raum. Der freitägliche Schulstreik hat heute an Relevanz verloren. Die Studie analysiert, wie die Bewegung nach neuen Strategien sucht, welche Spannungen innerhalb der Organisation auftreten und welche Herausforderungen sie meistern muss, um relevant zu bleiben. Auch das klimapolitische Netzwerk „Letzte Generation“, das vor allem zivilen Ungehorsam einsetzt, um Aufmerksamkeit für den Klimaschutz zu erzeugen, wird ausführlich in den Blick genommen.
In den vergangenen zehn Jahren hat sich zudem eine besondere Form neuer Akteure auf dem Feld der Umweltbewegung etabliert. Die ultrakonservativen Gruppen sprechen ein völlig anderes Klientel an: Die Organisation „Vernunftkraft“ etwa vernetzt Bürgerinitiativen und Gegner des Ausbaus erneuerbarer Energien. Akteure dieser Szene bezweifelten häufig einen negativen Einfluss des Klimawandels auf Natur und Umwelt, heißt es in der Studie.
Wie geht es weiter?
Die Umweltbewegung befindet sich im Wandel. Für die kommenden Jahre entwerfen die Autorinnen und Autoren zwei Szenarien: In einem positiven Zukunftsbild gelingt der Umweltbewegung ein konzertiertes Vorgehen mit einer klaren Vision, das durch Kooperationen und lokale Projekte gesellschaftlichen Zusammenhalt und Motivation stärkt. Im negativen Szenario jedoch drohen finanzielle Einbußen, interne Machtkämpfe und ein Rückzug in kompromisslose Positionen, die junge Aktivistinnen und Aktivisten abschrecken.
Fazit: Wer verstehen möchte, wie sich die Umweltbewegung weiterentwickeln kann – und muss – findet hier wertvolle Einblicke.
Quelle: Unabhängiges Institut für Umweltfragen e. V. (Hrsg.) (2024): Struktur, Strategie und Bewegung – Entwicklung der Umweltorganisationen in Deutschland seit 2000, 57 S.